Im letzten Jahrhundert hat vor allem ein Komponist Musik- und Lebenswelt durchgewirbelt wie kein anderer: John Cage. Die ihm zugeschriebenen Attribute reichen von Genie bis Scharlatan, von Ikone bis Blender. Sein (auch musikalisches) Werk ist umfassend groß, es fasst vom Instrumentalwerk bis zur Oper alles, daneben finden sich reichhaltige literarische Produktionen und Produkte der Bildenden Kunst. Er war ebenso Fernsehquiz-Teilnehmer wie Provokateur, ein auf den dünnen Drähten musikalischer wie ästhetischer Grenzzäune steppender Wunderlicher.
Selbst das Urheberrecht führt er an die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit. Strukturierte Stille kann man nicht schützen und wie die Aufführung des über 600 Jahre währenden Orgelstücks „Organ2 / ASLSP“ in einer Kirche nahe Halberstadt abgerechnet wird, wirft Fragen auf. Für den einen recht sinnlose, weil extraordinäre, für den anderen möglicherweise existenzielle monetäre. Cage hat die Musikästhetik an die Ränder des Nervenzusammenbruchs gebracht. Aber eben nicht nur die Ästhetik, ebenso das Verständnis von Musikpolitik und -praxis. Dabei spielt das philosophische Gewölk, mit dem er seine Musikproduktion zum Teil umgibt, eine leider vor allem nur ablenkende Nebenrolle – von den Theorien des Zufalls bis zur Frage der Unbestimmtheit von Klangerzeugung. Von Cage lernen kann man permanent. Zum Beispiel, wie er es versteht, die Musik ins Zentrum der Gesellschaft zu stellen, indem er sie an den Rand drängt. Darin gänzlich umgekehrt allen Bestrebungen von Musikpolitik und -pädagogik, die die Bedeutung von Musik empirisch und historisch zu beglaubigen versuchen und damit nur kundtun können, dass sie als wesentlich menschlich-gesellschaftlich-ästhetische Leistung unter die Räder eines im Grunde kunstfeindlichen Systemzusammenhangs gekommen ist. „Sie müssen es nicht Musik nennen, wenn Sie dieser Ausdruck schockiert“, hat Cage einmal geschrieben. Eine konsequente Folgerung, die Becketts „Es gibt keine Natur mehr“ im „Endspiel“ für die Reststumpfgesellschaft aufgestellt hat.