Der Vorspann zum ARTE-Porträt „Aus eigener Kraft – Maestro Jeffrey Tate“ holt weit aus. Die Autoren Benjamin Wolff und Peter Schlögl, heißt es, wollen die Geschichte von Jeffrey Tate erzählen. Beziehungsweise ihn erzählen lassen. Das gelingt über weite Strecken nur bedingt. Dabei hätte das Leben des Dirigenten Jeffrey Tate, der ab der Konzertsaison 2009/2010 Chefdirigent der Hamburger Symphoniker wird, einiges zu bieten.
Er, der in Konzert- wie Opernhäuser größtes Ansehen genießt, der als großer Wagner-Dirigent unserer Zeit gilt, der bei Sir Georg Solti und Herbert von Karajan lernte und der mit den renomiertesten Orchestern arbeitet.
Doch Benjamin Wolff und Peter Schlögl verlieren sich oft in unausgewogenen, viel zu langatmigen Sequenzen. Stadt-Impressionen im Zeitraffer, die mit Ausschnitten der „Götterdämmerung“ unterlegt werden, Bilder vom Umbau seines Hauses in London, Szenen aus einer Porzellan-Messe (Tate ist Porzellan-Sammler, wie interessant!) auf der Jeffrey Tate minutenlang eine vage Verbindung von Porzellan und Musik herstellt, die in ihrer Konstistenz eher brüchig anmutet.
Pflichtgemäß grasen die Autoren die wichtigsten Lebensstationen ab: 1943 in Salisbury, England, zur Welt gekommen. Eine angeborene, verwachsene Wirbelsäule bindet ihn lange an den Rollstuhl und erschwert die Kindheit Tates. Erst nach einigen Operationen kann er halbwegs normal gehen und findet trotz Behinderung seinen Platz im Leben. Mit Hilfe der Musik. Er spielt früh Klavier, ist damals wie heute beeindruckt von Benjamin Brittens Gesamtwerk, studiert Medizin, wird Augenarzt, bevor er sich 1970 einem Musikstudium am London Opera Center widmet.
Die Kindheit Jeffrey Tates arbeiten die Autoren mit Hilfe seiner Mutter ab. Das heißt, die ältere Dame, die zu Wort kommt, scheint seine Mutter zu sein. Einblendungen bzw. Untertitel an dieser wie auch manch anderer Stellen fehlen leider. Obwohl exakt diese Kindheit interessant wäre. Denn Tate berichtet von einer außergewöhnlichen Musikdefinition. Musik war damals Macht für ihn. Er konnte zwar nicht Fußball spielen, wie all die anderen Kinder, doch er konnte gut singen. Und wusste das einzusetzen. Hier könnte man als Autor auch mal nachhaken. Wie kann man als Kind in seiner Situation Macht ausüben, demonstrienen? Stattdessen weitere Musikproben-Ausschnitte, ein paar Wortfetzen des Maestro, wie er seine Arbeit so angeht, was ihm wichtig ist (ausschließlich die Arbeit mit der Partitur) und wie er seine Liebe zu Wagner fand.
Schnell geht es noch zu weiteren Stationen seiner Karriere, etwa nach Neapel und Ravello, wo er mit dem Orchester des Teatro di San Carlo Musik von Strauss und Wagner aufführt. Und dann natürlich zu seiner künftigen, für die Fachwelt überraschenden Station: Chefdirigent der Hamburger Symphoniker ab der Konzertsaison 2009/2010.
Insgesamt schafft es „Aus eigener Kraft - Maestro Jeffrey Tate“ schon, uns Jeffrey Tate als faszinierende Persönlichkeit vorzustellen. Aber die Person leidet darunter. Benjamin Wolff und Peter Schlögl haben zu sehr den Dirigenten Tate und weniger den Menschen Tate beleuchtet. Auch Meinungen von Orchestermusikern über ihn sind eher spärlich vorhanden, erst gegen Ende des Films, dürfen einige Hambuger Musiker, die ihn natürlich noch am wenigsten kennen, ein paar Worte verlieren. Was hängen bleibt ist Tates berufliches Credo: „Als Dirigent musst du die Musiker dazu bringen, die Musik so zu spielen, wie sie geschrieben wurde. Und nicht anders. Sonst wird man angreifbar“.
ARTE, Montag, 5. Oktober 2009, 23.15 Uhr
Keine Wiederholungen
Aus eigener Kraft – Maestro Jeffrey Tate (Deutschland, 2008, 52mn), NDR
Regie: Benjamin Wolff, Peter Schlögl
Autor: Peter Schlögl