Es war ohne Zweifel eine der dämlichsten Samstagabend-Veranstaltungen, die seit Dekaden in der ARD übertragen wurde. Eine knapp dreistündige Produktion ohne Sinn und Verstand und ausdrücklich ohne Esprit, Witz und Substanz.
Am besten schnitten noch, nach einer trägen Inkubationsphase, die Moderatoren ab. Barbara Schöneberger, die zwar die Aura des aufgescheuchten Puttchens nie ablegen konnte und Oliver Pocher, dem wenigstens drei oder vier Pointen ähnliche Kommentare gelangen, deren tieferes Potential jedoch dem Saalpublikum in der so oft erwähnten Berliner O2-Halle (keine Product-Placement in den GEZ-Sendern?) eher Fragezeichen denn Erleuchtung auf die Häupter zauberte. Gut auch, weil professionell: Florian Silbereisen. Der sonst so anbiedernde Musikantenstadl-Dirigient war mit Abstand der einzige Laudator, der drei deutsche Sätze stolperfrei über die Lippen brachte und dazu noch spitzfindig wie spontan eine Breitseite von Pocher konterte.
Überhaupt Musikantenstadl. Jede Produktion des „Stadls“ scheint durchdachter, organisierter und echter zu sein, als die gestrige ECHO Verleihung. Wohin man gestern Abend sah und insbesondere wohin man hörte, wechselten sich Peinlichkeiten mit Künsteleien ab. Es gab Szenen, da hätte man sich am liebsten selbst versenkt. Im Erdboden. Und darauf gehofft, dass diese Welt doch endlich ist.
Stichwort Laudatoren. Egal ob als Paar oder solo auftretend. Es war ein Desaster. Laufsteg-Hündchen Bruce Darnell (in der ARD mit eigener Show kläglich gescheitert) durfte laudatieren und richtete ein „Day After“-Chaos an, so dass man gar nicht wusste, wem und warum er nun einen Preis überreicht oder ob er sich einfach nur verlaufen hatte und nach der nächsten U-Bahn Verbindung fragen wollte. In welcher Sprache er Helene Fischer die beiden ECHOs überreichte, war lange Zeit irgendwie auch nicht klar. Wie kommt die Produktionsleitung nur auf die Idee, einen Sprachstümper, der es nicht schaffte, vier Buchstaben hintereinander korrekt zu artikulieren geschweige denn aus seinem unfassbar langen Hals zu knödeln, als Laudator auftreten zu lassen?
Oder Wladimir Klitschko, den einer der Hauptsponsoren als Werbeschäfchen platzieren musste und der die Scorpions für das Lebenswerk lobte. Ein Kauderwelsch an Grammatikfallen, in die der russische Bär problemlos tappte: Die vier deutschen Fälle existieren kaum, den deutschen bestimmten Artikel kann man seiner Meinung abschaffen, der Satzbau ähnelt den Ruinen eines abgebrochenen Boxkampfes und dann tauft er den Scorpions Klassiker „Big City Nights“ noch in „Big City Lights“ um. Denn den „hört er immer, wenn er in Kalifornien Auto fährt und das Radio anmacht“. Fraglich, was gefährlicher ist: Dass Wladimir überhaupt Auto fahren kann oder seine fiesen Buchstaben-Salven abfeuern darf.
Oder das Laudatoren-Paar Rea Garvey (Sänger von Reamonn) und Schauspielerin Simone Thomalla. Gestammel und Überleitungen in einer nicht nachzuvollziehenden Logikkette (von der Rolle als Tatort-Kommissarin zu den Nominierten?). Noch viel schlimmer: Die Lobredner und Schauspieler Uwe Ochsenknecht, der sich in seinem affektierten Rocker-Outfit wieder einmal für nichts zu schade war und die heillos überforderte Anna Loos. Ein Gewürge, ein Bälle zuwerfen, das die Wucht von Medizinballen erreichte, ein ständiges „ins Wort fallen“ ohne den anderen ausreden zu lassen oder einfach mal zu lauschen, was der andere sagt, um die sicher in den Proben vereinbarten Stichworte fallen zu lassen. Gespenstisch. Da fragt man sich, wie es Schauspieler als Laudatoren immer wieder schaffen, in ihren Kernfächern „Spontaneität und Texte auswendig lernen“, so jämmerlich zu versagen.
Dazu die Unart aller Laudatoren, das Saalpublikum ständig mit „Hallo Berlin“ zu begrüßen. Dieses Stellvertretertum ist unsäglich. Zumal die meisten in der Halle sicher nicht aus Berlin waren, sondern von den Premium-Partnern zusammen gerottete Angestellte auf Incentive-Ausflug. Oder unglückliche Gewinner von Eintrittskarten, die ihnen der heimatliche Radiosender aufdrängte, und die schon bei Beginn der Veranstaltung eine unbefriedigte Fresse zogen, weil sie natürlich auf keinen Fall zur Backstage-Party durften, sondern um zehn vor zwölf den Interregio nach Hause erwischen mussten.
Damit wären wir beim Saalpublikum. Anfangs noch frenetisch applaudierend und mit grundlos enthusiastischen „Uuuhs und Yeahs“ auftrumpfend, hatte man vor dem Fernseher das Gefühl, dass am Ende der Veranstaltung überhaupt keiner mehr klatschte (okay, drei Leute bei den Scorpions).Zudem sahen die Reihen der Halle gegen Ende der Show sehr gelichtet aus. Das macht man doch nicht, einfach eher gehen. Bei einer derartigen Heiligsprechung der Szene! Selbst ich habe ein paar Stunden vorher die Heimniederlage des FC Bayern als Stadionbesucher bei minus 10 Grad stoisch (weil festgefroren) bis zur Schlussminute ertragen. Aber ehrlich gesagt: Der ECHO war schlimmer als das Münchener Gegurke, was um 18.00 Uhr so noch nicht abzusehen war.
Damit eine ähnliche, dem Niveau der Veranstaltung zwar angepasste aber genauso misslunge Überleitung zur Branche an sich. In einen weißen Stall aus Ledersofas hatten sich die Künstler samt Managern und Speichelleckern zurückgezogen: Geschlossene Gesellschaft: Immerhin bequemten sie sich zur Abholung der Preise die vier Treppen nach unten. Dorthin, wo das Fußvolk dämmerte. Abgekapselt, als wüssten sie nicht, was sie hier sollten, gaben sich die Hauptfiguren des Abends. Das grenzte an Respektlosigkeit gegenüber jenen, die ihnen das alles ermöglichen und denen sie dann in ihren gekonnt apathischen Reden fast schon bigott dankten. Ein Benehmen, das vielen Stallbewohnern übel aufstoßen würde. Dann bleibt doch zu Hause, liebe Künstler, wenn Euch das alles nichts angeht und klaut uns nicht den Sendeplatz für einen Musikantenstadl und eine Donna-Leon-Verfilmung! Das hatte schon was Elitäres und Arrogantes, wie sich die sonst so jammernde Branche auf ihren Sofas aalte und sich von den Zuschauern vor den Bildschirmen und den Unfreiwilligen in der Halle nicht nur sichtlich absonderte.
Wenn überhaupt möglich, bleibt folgendes Fazit: Kein deutscher Sender ist in der Lage und willens, eine ECHO Preisverleihung auszurichten. Die Orientierung an den amerikanischen Grammys oder an den „Brit-Awards“ scheitert alljährlich. Der Hang zum Opulenten, zum Übertriebenen steht uns Deutschen nicht. Der ECHO mag wichtig sein. Für wen ist noch zu klären. Aber bitte in einem bürgerlichen, sympathischen Rahmen, der nicht zu dick aufträgt und den Witz und die durchaus vorhandene Intelligenz vieler deutscher Künstler als Steilvorlage aufnimmt. Schafft die Laudatoren ab. Stattdessen ein Moderator, der durch die Sendung führt und Sparten übergreifende Qualitäten hat, wenn man schon dauernd den zwanghaften Versuch unternehmen möchte, Pop mit Kunst, Sport, Schauspiel und Pomp zu verbinden. Und geht aus den großen, jegliche Atmosphäre tötenden Hallen raus. Lieber ein gemütlicher Stammtisch mit Waldemar Hartmann. Und die letzte große Bitte an alle Teilnehmenden: Bitte nehmt Euch selbst nicht so wichtig. Fahrt die Systeme auf Null. Seid ihr selbst. So wie im täglichen E-Mail-Verkehr, auf Tournee oder beim Interview. Deswegen mögen Euch die Leute. Alles andere ist aufgesetzter Eskapismus, den niemand versteht.