Musikschule und Musikhochschule: Eine Silbe nur trennt die Bezeichnungen dieser beiden Institutionen voneinander. Wobei die Silbe „hoch“ bereits unschön andeutet, wo beide und mit ihnen auch ihr Personal im allgemeinen Bewusstsein allzuoft verortet werden: Müht sich hier die Musikschule in den Niederungen der Basisarbeit ab, wird an der Musikhochschule die Exzellenz in künstlerisch schwindelerregende Höhen getrieben. Versuchen hier gescheiterte Solistinnen und Solisten übefaule Teenager bei der auf niedrigstem Niveau montierten Stange zu halten, werden dort handverlesene Elitekräfte von der Crème de la Crème internationaler Instrumental- und Gesangsstars unterrichtet, die sich neben ihrer internationalen Konzerttätigkeit selbstverständlich stets auf den neuesten Stand der pädagogischen und fachdidaktischen Forschung bringt.
Dass die Realität eine andere ist und eine erheblich differenziertere Betrachtung verdiente, muss den Leserinnen und Lesern der nmz wohl kaum nahe gebracht werden. Diese kleine Zuspitzung mag aber illustrieren, auf welches Terrain man sich begibt, wenn man jenes Tätigkeitsfeld betrachtet, das Musikschule und Musikhochschule verbindet – oder mitunter auch trennt: die Frühförderung. Gemeint ist die gezielte Weiterentwicklung jener Musikschülerinnen und -schüler, die eine außergewöhnliche Begabung zeigen und Ambitionen auf ein Musikstudium erkennen lassen.
An vielen Musikschulen wird zu diesem Zweck die so genannte Studienvorbereitende Ausbildung (SVA) angeboten, die neben dem Unterricht im Haupt- und Nebeninstrument ergänzende Fächer, etwa Musiktheorie, Gehörbildung oder Ensemblespiel vorsieht. An den meisten Musikhochschulen gibt es hierfür zum Teil sehr umfangreiche und ausgefeilte Angebote, die als Jungstudium, Pre-College oder ähnlich bezeichnet werden. Dass solche allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung und der Legitimation eigentlich zwingend sind, scheint sich inzwischen herumgesprochen zu haben. Wie unterschiedlich diese Frühfördereinrichtungen an Musikhochschulen personell, strukturell und zum Teil auch von ihrer Arbeitsweise her aufgestellt sind – hinzu kommen die mit den örtlichen Hochschulen kooperierenden Musikgymnasien Ostdeutschlands –, machte ein Treffen deutlich, das Anfang November anlässlich des zehnjährigen Bestehens der young academy rostock (yaro) der Hochschule für Musik und Theater Rostock stattfand (und an dem der Autor als Moderator teilnahm).
Neben der Zusammenarbeit mit den allgemeinbildenden Schulen – hier herrschte Konsens, dass neben Kooperationsmodellen und individuellen Einzelfallregelungen mindestens ein vollwertiges Musikgymnasium pro Bundesland notwendig wäre – kristallisierte sich schnell das Verhältnis zu den Musikschulen als zentrale Fragestellung heraus. Unstrittig war dabei deren Bedeutung für die Förderung herausragender Talente und für die Sicherstellung einer breiten Basis musikalischer Bildung. Hier gelte es, so der Tenor, tragfähige Modelle der Kooperation zu finden, wie etwa in Rostock mit der yaro oder in Mannheim mit dem Netzwerk Amadé bereits geschehen. Diese müssten sicherstellen, dass die Frühförder-Aktivitäten der Musikhochschulen nicht als Konkurrenz der Musikschulen (durch Abziehen von deren besten Kräften), sondern als Stärkung von deren Arbeit wirksam werden.
Im Detail wurden aber dann doch immer wieder auch leise Zweifel laut, inwieweit alle Musikschulen der anspruchsvollen Nachwuchsförderung gewachsen seien. Da gebe es doch starke Qualitätsunterschiede, war zu hören – ein Einwand, der letztlich wieder auf die Musikhochschulen selbst zurückfällt. Denn dort werden die Musikschullehrkräfte schließlich ausgebildet, wobei die Instrumentaldidaktik aber möglicherweise nicht immer weit genug über die Anforderungen des Anfangsunterrichts hinausgeht. Und wie steht es, so könnte man mit gleichem Recht einwenden, eigentlich um die Eignung von Hochschulprofessorinnen und -professoren für den Umgang mit 12- bis 17-Jährigen? Werden diese wie kleine Erwachsene behandelt und einfach nur ein paar Jahre früher für die Hochschulstandards passend gemacht? Auch müssen sich die Musikhochschulen, hier allerdings ebenso wie die Musikschulen, die Frage gefallen lassen, wie man eigentlich jene verborgenen Talente aufspüren will, die nicht von kulturaffinen Eltern auf die Musikschule geschickt wurden. Was die Musikschulen betrifft, so landet man dann schnell wieder bei deren finanzieller Ausstattung und damit beim Dauerthema Wertschätzung musikalischer Bildung.
Ein echter Schulterschluss der beiden Institutionen, inhaltlich wie musikpolitisch, täte also dringend Not – die trennende Silbe sollte dafür als Hindernis schleunigst aus den Köpfen verschwinden. Dass in Rostock ein Folgetreffen der Frühförderinstitute mit dem Schwerpunkt Musikschul-Kooperationen vereinbart wurde (für Anfang November 2019 in Mannheim), ist ein ebenso ermutigendes Zeichen wie die Tatsache, dass die Rostocker Hochschule das Konzept ihrer yaro ausdrücklich gemeinsam mit den Musikschulen in Mecklenburg-Vorpommern weiterdenken und zu einer tragenden Säule des Hauses ausbauen will.
P. S. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind ein weiteres, indes weniger erfreuliches Thema, das Musikschule und Musikhochschule gemeinsam haben. Vor einem Jahr berichteten wir an dieser Stelle von den Protesten der Lehrbeauftragten an bayerischen Musikhochschulen und universitären Ausbildungsgängen. Die Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten (bklm), die Ende Oktober in München unter weitgehender Abwesenheit gewählter Volksvertreter stattfand (siehe Seite 24), hatte wenig Grund, Optimismus zu verbreiten. Auch die ominösen Fragebögen kursieren wieder – wer stopft dem jährlich grüßenden Murmeltier endlich das Maul?