Am Wochenende gibt das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg seine letzten beiden Konzerte überhaupt. Zuvor hat Georg Rudiger nochmals vor einer Probe im Freiburger Konzerthaus mit dem Chefdirigenten François-Xavier Roth gesprochen, der seit 2015 auch Generalmusikdirektor in Köln ist.
Als die Fusionspläne des Südwestrundfunks bekannt wurde, sagten Sie, Sie möchten nicht der Totengräber des Orchesters sein. Jetzt mussten Sie diese Rolle doch spielen. Wie ging es Ihnen damit?
So sehe ich meine Rolle nicht. Als wir gesehen haben, dass unser Protest keinen Erfolg hat und die Fusion endgültig beschlossen war, habe ich mich mit dem Orchester zusammengesetzt. Die Frage war: Wie gestalten wir das Ende? Und die Antwort lautete: Wir möchten bis zuletzt zeigen, wie lebendig und wichtig dieses Orchester ist. Wir möchten die große Tradition und die enorme Energie dieses Orchesters in einem letzten Feuerwerk zum Leuchten bringen. Es ist auch kein echter Tod, weil die Orchestermitglieder ja in dem neuen Fusionsorchester weiterleben. Diese letzte Probenwoche bewegt mich sehr. Jede Minute einer Probe ist ein Schatz.
Wie haben Sie die Stimmung im Orchester in den letzten Jahren empfunden?
Es gab verschiedene Phasen. Auf die Bedrohung folgte der Kampf und ein selbstbewusster Widerstand. Dann gab es auch von Beginn an echte Pessimisten und andere, die Hoffnung verbreiteten. Viele haben sich sehr engagiert, andere nicht. Es herrschte auch immer wieder Verzweiflung und die Frage: Was haben wir falsch gemacht? Die meisten Orchestermitglieder identifizieren sich sehr stark mit dem Orchester und seinem Profil für Neue Musik und zeigen immer großen Einsatz. Dass das am Ende bestraft wird, empfanden viele als ungerecht. Und man musste natürlich auch immer beide Seiten im Kopf behalten. Da gibt es die persönliche Lebenssituation, die sich jetzt auch für viele verändert. Und es gibt das Bewusstsein für die Orchestergemeinschaft, für das Kollektiv. Jetzt in der letzten Woche sind fast alle Musiker dabei, obwohl es sehr emotionale Tage werden.
Jetzt stehen die beiden allerletzten Konzerte an. Freuen Sie sich darauf. Oder haben Sie auch Angst davor?
Ich habe keine Angst, weil wir seit langem wussten, dass es dieses Ende gibt. In der Sommerpause werden alle Instrumente nach Stuttgart gebracht, wo dann das fusionierte Orchester beginnt. Es ist nun die Zeit für diesen Wechsel. Ich bin mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Energie in dieser letzten Woche für das Orchester da. Dann sagen wir Au revoir. Diesen Abschied müssen wir zusammen erleben. Natürlich ist das traurig und sehr tragisch, aber es muss sein. Das ist vielleicht die wichtigste Woche in meinen fünf Freiburger Jahren – leider.
Sie haben sich immer gegen die Fusion ausgesprochen. Empfinden Sie das auch als persönliche Niederlage, dass sie nun trotzdem gekommen ist?
Es wäre natürlich besser gewesen, wenn das Orchester erhalten geblieben wäre, aber diese Entscheidung nehme ich nicht persönlich. Es geht nicht um mich. Aber ich habe viel gelernt darüber, in welcher Zeit wir leben. Dass sich die Tendenzen in Deutschland gerade gegen die Kunst richten. Diese Fusion war ein erstes Kapitel – und ich hoffe, es war auch das letzte. Diese Entscheidung hat sehr viel zu tun mit Populismus. Ich bin sehr enttäuscht darüber, dass sich Vertreter der Rundfunkorchester Deutschlands nicht an einem runden Tisch getroffen haben. Nach unserer Geschichte, die wir erleben mussten, wäre dies wirklich absolut notwendig. Rundfunkorchester sind unglaubliche Maschinen für die Musik, für die Zukunft. Aber man muss dies herausstreichen in der öffentlichen Diskussion. Man muss sehr laut und kreativ sein.
Am Samstagabend um 20.30 Uhr geben Sie mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg ein Open-Air-Konzert auf dem Münsterplatz, bei dem auch Kinder und erwachsene Laien mitspielen. Unter anderem erklingt der „Tanz der Ritter“ aus Prokofiews Ballettmusik „Romeo und Julia“. Warum dieses Konzert?
Das Konzert hat nichts zu tun mit der Fusion. Ich wollte immer schon ein populäres Konzert in Freiburg machen. Diese sogenannten Patchprojekte in der Vergangenheit mit der Integration von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in das Orchester waren sehr wichtig für uns. Diese Vermittlungsarbeit ist für mich persönlich wichtig, aber es gehört auch seit vielen Jahren existentiell zur Orchesterarbeit. Das konkrete Programm haben die Orchestermitglieder entschieden.
Das eigentliche Abschiedskonzert im Konzerthaus, das auf den Vorplatz als Public Viewing übertragen wird, ist am Sonntag um 18 Uhr. Das Programm soll eine Überraschung sein. Könnten Sie trotzdem schon etwas verraten?
Es soll eine Überraschung bleiben. Was wir spielen, ist ein gigantisches Mammutprogramm voller Utopie. Das Konzert am Sonntag zeigt viel von dem, was das Orchester ausmacht in Sachen Repertoire, Formen und Komponisten. Ein einmaliges, exzeptionelles Konzertprogramm zum Abschied. Das wird wirklich ein Feuerwerk
Was bleibt Ihnen von Ihren Freiburger Jahren?
Es war eine extrem wichtige Zeit. Das Orchester wollte, dass ich komme. Das war schon ein schönes Gefühl für mich als jungen Dirigenten. Die Orchestermitglieder schenkten mir von Beginn an viel Vertrauen. Ich habe hier sehr viele Freunde gefunden, die auch bleiben werden, wenn ich aus Freiburg weg bin. Ich konnte wichtige Persönlichkeiten wie Hans Zender, Pierre Boulez, Wolfgang Rihm und Michael Gielen treffen. Wir haben hier beispielhaft zusammen musiziert. Ich bringe auch nach Köln und überall, wo ich sonst arbeite, viel von den Freiburger Erfahrungen mit. Diese Risikofreude, diese Offenheit, Musik als Experimentierfeld zu sehen – hier war Freiburg für mich ein Modell eines Orchesters in der heutigen Zeit.
Wer oder was hat Sie besonders enttäuscht?
Am meisten hat mich enttäuscht, dass die SWR-Intendanz keine Vision für das Orchester hatte. Als Teenager kannte ich dieses Orchester durch Heinrich Strobel. Dass man sich keine Gedanken darüber machte, wie diese weltweit geachtete Institution im Sender erhalten bleiben kann, kann ich nicht verstehen.
Sie haben es abgelehnt, das neue SWR-Symphonieorchester zu dirigieren, obwohl Sie auch von Freiburger Orchestermusikern darum gebeten wurden. Auch bei den Donaueschinger Musiktagen werden Sie nicht mehr auftreten. Warum diese Härte?
Weil ich gegen die Fusion war. Da bin ich konsequent. Die Donaueschinger Musiktage waren ein Festival dieses Orchesters, das jetzt als Klangkörper aufgelöst wird. Ich bin frei. Ich war immer frei. Ich hatte einen Vertrag mit dem SWR, aber der betraf nur die Konzerte. Für die Orchestermitglieder ist das natürlich eine andere Situation, weil sie Angestellte sind. Die Fusion ist immer noch ein Skandal. Und wenn ich mir die erste Spielzeit im Detail anschaue, wie oft diese knapp 200 Musiker arbeiten beziehungsweise nicht arbeiten, dann tritt genau das ein, was wir gesagt haben. Aber natürlich bin ich für die Musik. Das fusionierte SWR-Symphonieorchester muss Erfolg haben. Wir sind mit unseren Instrumenten keine Soldaten, sondern Künstler. Musik ist wichtiger als alles. Man kann nicht durch Musik weiter kämpfen. Bon courage, bonne chance für das neue Orchester! Ganz ohne Ironie.
Was wünschen Sie den Freiburger Orchestermusikern für die kommende Zeit?
Ich wünsche mir ein Wunder. Dass sie in dieser neuen Form etwas Positives erleben, was gut für die Musik ist. Ich hoffe, dass sie in Stuttgart respektiert werden – vom SWR, aber auch von den Stuttgarter Kollegen. In der Fusion waren wir die kleine Stadt, die belächelt wurde. Und unser Widerstand wurde als nervend empfunden.
Und was wünschen Sie dem Freiburger Publikum?
Selbstverständlich sollen sie ins Konzerthaus kommen und das neue Orchester anhören. So ein offenes, begeisterungsfähiges, aber auch kritisches Publikum findet man kaum in einer anderen Stadt. Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder.