Katharina Wagner gehört zu der wachsenden Zahl junger Opernregisseure, die durchaus akzeptable Ansätze für eine veränderte Sicht auf tradierte Werke durch Überladung mit irgendwelchen Einfällen bis zur Unkenntlichkeit verstellen. Immerhin wird erkennbar, dass die Regisseurin die „Geschichte von der kleinen Japanerin“ aus der gewohnten kleinteiligen Psychologie der Figuren herausführen möchte.
Kein hübsches Teehäuschen, keine durchsichtigen Schiebewände, keine Kirschblüten, kein Trippeln also. Und das Publikum am Mainzer Staatstheater benötigt für diese „Butterfly“ keine Taschentücher, um nach Großmütterart die Tränen zu trocknen, wenn die kleine verlassene Cho-Cho San am Ende nach alter Väter Vorbild Selbstmord begeht, weil der geliebte und treulose Interims-Ehegatte partout nicht daran denkt, zu ihr zurückzukehren.
Schon das Bühnenbild von Monika Gora macht deutlich, dass Katharina Wagner alles anders machen möchte: Sechs halboffene mobile Wohncontainer in verschienen Farben umkreisen den weißen Siebten, in dem die verschleierte Cho-Cho San nebst ihrer Gesellschafterin Suzuki auf den Auftritt wartet. Bis dahin wird der goldgelb gewandete, als distanzierender Spielführer durch die Szene tänzelnde Zuhälter Goro nicht müde, den amerikanischen Herren Pinkerton und Sharpless die „Inhalte“ der Wohnkisten zu präsentieren, lauter gängige Sexobjekte, Lack- und Leder-Damen, Transvestiten, eine Krankenschwester, eine Soldatin, auch ein Kind stehen zur Auswahl.
Pinkerton, der früher in der deutschen Übersetzung in Linkerton umbenannt wurde, weil's sich besser anhörte, entscheidet sich, wie es das Libretto vorschreibt, natürlich für Madama Butterfly. Seine wahren Bedürfnisse zeigen sich dann im zweiten Akt, wenn sich hinter dem nach vorn geschobenen Wohn-Dreieck der beiden Protagonistinnen die übrigen Kisten zu einer Hochhauslandschaft türmen, in der Mister Pinkerton unablässig über lange Leitern herumklettert, um seine sexuellen und sonstigen Bedürfnisse zu stillen. Zu Letzteren gehören zwei halbnackte kleine Männer, die à la Vietnam, mehrfach einfach so abgeknallt werden. Auch zwischen zwei Damenbeinen aus Plastik vergnügt sich der „Mann“ immer wieder und allmählich fällt dem Betrachter die ständige Perpetuierung der Aktionen ermüdend auf die Nerven.
Währenddessen hantieren Butterfly und Suzuki mit weißen Erinnerungskästchen, die sie unentwegt zu einem Schrein zusammenbauen. Mit einem Blaufstift schreiben sie Worte wie „Hope“, „Trust“, „Comfort“ und natürlich „LOVE“ auf die weißen Wände, die dann alsbald wieder ausgewischt werden müssen, weil sie sich als Schimäre erwiesen haben.
Für die Figur der Cho-Cho San bringt Katharina Wagners Ansatz Vor- und Nachteile. Die einstige private, oft sentimentale Anteilnahme am Schicksal der Frau wird durch eine tragische Dimension ersetzt: Cho-Cho San steht am Ende, mit dem Rücken zum Publikum, erstarrt wie eine antikische Säule. Sie ist aus ihrer Zeit, aus allen ihren gesellschaftlichen und religiösen Bindungen gefallen. Eine „Frau ohne Eigenschaften“, sehr modern gesehen, zugleich eine Chiffre für die seelischen Veränderungen ihres Volkes, die mit der Öffnung des Landes nach Westen in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts begannen.
So gewinnt Katharina Wagners Interpretation vom Ende her einige Plausibilität, auch weil die Sängerin Abbie Furmansky der Cho-Cho San einen ungewohnt festen, ja harten dramatischen Tonfall verleiht. Der Pinkerton von Sergio Blazquez bleibt vokal daneben ein wenig flächig. Das Schlussbild zeigt, dass es ihm mit der neuen Frau nicht besonders gut ergehen dürfte, er wird zum Hündchen degradiert: Auch ein verbrauchter Gag.
Zur gehärteten Sicht auf das Werk gehört auch die musikalische Darstellung durch Catherine Rückwandt. Das Orchester agierte mit wenig Klangfarbe, dafür häufig sehr laut. Etwas subtiler könnte man sich die Partitur schon ausgeleuchtet denken, ohne Puccinis "Butterfly"-Musik der Sentimentalisierung auszuliefern. Gleichwohl: viel Beifall für Musiker und Sänger, das übliche Buhgeschrei gegen die Regie.