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Großes Kino vor dem Opernhaus in Timișoara: das JazzTM Festival. Foto: Ralf Dombrowski
Großes Kino vor dem Opernhaus in Timișoara: das JazzTM Festival. Foto: Ralf Dombrowski
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Freiheit mit Party – mit dem JazzTM Festival rüstet sich Timișoara für die Kulturhauptstadtbewerbung

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Eine Stadt im Aufbruch. Timișoara rüstet sich zur Kandidatur für die Kulturhauptstadt Europas 2021. Der begehrte Titel ist hart umkämpft, denn er bringt gerade für Regionen wie das Banat, die nicht per se schon im Mittelpunkt des internationalen Interesses stehen, wichtige touristische und wirtschaftliche Impulse. Das Profil kann man dabei auch durch Jazz schärfen, der am vergangenen Wochenende erstmals mit einem Festival das Zentrum der Stadt prägte.

Für Johnny Bota, Bassist und Urgestein der rumänischen Musikszene, ist die Situation klar: „Jazz ist ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens in Timișoara. Nach 1989 zum Beispiel machte hier in der Stadt der erste private Jazzclub Rumäniens auf, bei der Brücke an der Bega. Er schloss zwar bald wieder, aber es war ein Anfang und so ging es Schritt für Schritt weiter. Ich habe dann selbst auch eine Jazzschule gegründet und in diesem Jahr ab Oktober wird es am Konservatorium eine Jazzklasse geben“. Norbert Tako, der Organisator des ersten JazzTM Festivals, ist da ein wenig skeptischer: „Eigentlich wussten wir nicht, was genau auf uns zukommt. Wir wussten auch nicht, wer zum Zuhören kommt – der Fabrikarbeiter oder der Intellektuelle. Immerhin findet das Festival hier auf dem zentralen Stadtplatz statt, direkt vor dem Opernhaus, und da sollte es schon ein Erfolg sein. Deshalb haben wir hauptsächlich Bands mit Gesang eingeladen, auch solche, zu denen man ein wenig tanzen kann oder die Elektronisches dabei haben, was die Brücke zu den jungen Leuten leichter schlägt.“

Die Kraft der Kultur

Das JazzTM Festival ist ein Experiment der Stadtverwaltung in Rahmen einer umfassenden Aufforstung der kommunalen Kulturwelt. Es ist ein Vorglühen für die heiße Phase der Kandidatur Timișoaras zur Kulturhauptstadt Europas 2021, die in zwei Jahren beginnt und 2017 entschieden sein wird. Und es ist Teil des Ringens um die eigene Identität, die an vielen Orten des früheren Ostblocks nach dem Ende des Kommunismus eingesetzt hat. Timișoara setzt als Zentrum des Banats in der Grenzregion von Rumänien, Serbien und Ungarn auf die Kraft der Kultur. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Stadt einiges erlebt, zunächst ungarische, dann osmanische Zeiten, gefolgt von einer habsburgischen Phase, die ihr das heute bestimmende historische Stadtbild gegeben hat. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Timișoara dem neu gegründeten Rumänien zugeschlagen. Wenige Jahrzehnte später darbte die Stadt wie auch das ganze Land unter der Diktatur Nicolae Ceaușescus, bis sich – ebenfalls von Timișoara aus – der Widerstand gegen den Despoten mit der Rumänische Revolution formierte.

Es gibt daher bereits manches, um darauf stolz zu sein. Um aber als Kulturhauptstadt punkten zu können, muss man vor allem mit Vielfalt glänzen können. Einiges hat die Stadt bereits angeleiert. Es gibt Festivals, die sich mit Alter Musik, barocker Tradition, Tanz oder Weltmusik beschäftigen. Das Nationaltheater kann von sich behaupten, das einzige zu sein, das seine Stücke regelmäßig in drei Sprachen – ungarisch, rumänisch, deutsch – aufführt. Die Kommune hat versprochen, in naher Zukunft die Innenstadt in eine Fußgängerzone zu verwandeln und so nach und nach wird auch manche kommunistische Bausünde geschmackvolleren Gebäuden weichen. Damit wird touristische Infrastruktur geschaffen, die wiederum mit weiteren Inhalten gefüllt werden kann. Eben Jazz, zum Beispiel.

David Murray, Richard Bona und ein Entertainer

Manch einer hat zunächst einmal gestutzt. So stand Macy Gray auf dem Programm, die als Rhythm & Blues-Sängerin ihre erfolgreichsten Zeiten bereits hinter sich hat, nun aber im Lager des Soul Jazz nach neuen Ufern sucht. Es hätte Pop sein können, aber die Lady gab sich zusammen mit David Murray die Ehre, der wiederum als mit der Avantgarde sozialisierter Saxofonist durchaus extravagante Momente zu bieten hatte. Die Kombination war pfiffig, weil stellenweise herb genug, um Spezialisten zu erfreuen, aber auch ausreichend harmonisch und groovebetont, um auch die Menge auf dem Platz, die nicht im kleinen Bezahlbereich des Festivals verweilte, bei der Stange zu halten.

Der zweite Headliner war der Bassist Richard Bona aus Kamerun, der seine afrikanischen Wurzeln längst mit reichlich Fusion Jazz und Pop versetzt hat. Seine Mischung sorgte dafür, dass auf den Straßen sogar getanzt wurde. Ein echter Höhepunkt der drei Tage aber war der Auftritt des Chicagoer Sänger Kurt Elling. Bekannt als souveräner, manchmal auch routinierter Entertainer, ließ er sich in Timișoara von der besonderen Atmosphäre des Abends treiben, sprühte vor Charme und Swing und umgarnte das Publikum, bis es ihm zu Füßen lag.

Das war großes Kino und auch das, worauf die Organisatoren gehofft hatten. Denn der Hauch der weiten Jazzwelt wehte durch Timișoara und vermengte sich mit den Konzerten der anderen Bands zum inspirierenden Flow. So knüpfte etwa der rumänische Pianist Sebastian Spanache gekonnt und mit kraftvollem Trio an die noch junge Tradition rockgetönter Improvisation an. Das schottische Hidden Orchestra schlug die Brücke zu elektronischen Klängen, mit langsam fließendem, mit Geige und Trompete veredeltem Sound aus dem Grenzbereich zu Lounge und Pop. Die Lokalheroen Mario & The Teachers wiederum brachten mit Akkordeon und umfangreicher Perkussion im Bandgefüge eine Prise Folklore ins Spiel, ohne ihre rockjazzige Basis zu verlassen.

Damit war das Spektrum umrissen, mit dem das JazzTM Festival seine eigenen Identität definierte. Denn zum einen ging es darum, die Menschen in der Stadt zu erreichen und mitzureißen, mit großem eigenen Engagement, aber auch mit dem Ausblick in die Ferne einer schillernden Klangkultur. Auf den anderen Seite war das Programm vielfältig genug, um das Potential zu haben, mehr als nur regional wahrgenommen zu werden. Die Feuerprobe ist bestanden. Und der Jazz, sonst selbst eine Musik, die gerne als Nische betrachtet wird, hilft einem Ort dabei, seine eigene Dornröschenlage hinter sich zu lassen. Wie schön.

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