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Gefährliches Drehen an sensibler Schraube

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Zur Debatte um die Verlängerung der Schutzfristen für Musikaufnahmen · Von Jens-Uwe Völmecke
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Nachdem der Forderung der Musikindustrie und Interpreten nach einer Verlängerung der Schutzfristen für Musikaufnahmen von 50 auf 95 Jahre von Seiten der britischen Regierung eine klare Absage erteilt worden ist, hätte man glauben können, die Debatte sei zu Ende. Doch weit gefehlt. Nach einem Scheitern der Petition in England bringen alte und neue Lobbyisten, darunter der deutsche Schlagerstar Udo Jürgens, das Thema nun erneut und diesmal auf die europäische Ebene. EU-Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy will noch vor der Sommerpause einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung der Schutzdauer der europäischen Kommission vorlegen.

Vielen ausübenden Künstlern, so die Befürworter der Gesetzesänderungen, drohen 50 Jahre nach Veröffentlichung ihrer großen Hits erhebliche finanzielle Einbußen, da die fraglichen Aufnahmen dann den „Public Domain“-Status erreichen und somit für kommerzielle Auswertungen frei und ohne weitere Tantiemenzahlungen zugänglich sind. Auch die Musikkonzerne befürchten in den nächsten Jahren Einnahmeverluste in Milliardenhöhe. Werden doch zum Beispiel frühe Beatles-Aufnahmen in Europa nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung ab dem Jahr 2013 frei verfügbar sein. Bevor die britischen Politiker die Forderungen der Musikindustrie und Künstler, zu denen immerhin Ex-Beatle Paul McCartney und Cliff Richard gehören, ablehnten, ließen sie ein eingehendes Gutachten zu diesem Thema anfertigen. Dieser „Gowers-Report“, wie er genannt wird – verfasst von dem ehemaligen Chefredakteur der „Financial Times“, Andrew Gowers –, belegt eindeutig, dass eine Schutzfristenverlängerung eher kontraproduktiv und in letzter Konsequenz für die kulturelle Vielfalt schädlich ist. Mit einigem Unbehagen musste man bei dieser Gelegenheit auch zur Kenntnis nehmen, dass die Musikindustrie, auf deren Initiative die Schutzfristenkampagne zurückgeht, offenbar mit fragwürdigen Mitteln gearbeitet hatte. Sie schaltete in der „Financial Times“ eine Anzeige, auf der sich 4.000 Künstler für die Verlängerung der Schutzfristen aussprechen. Der Rechtsprofessor und Creative Commons-Vorkämpfer Lawrence Lessig stellte kurze Zeit später fest, dass einige der Künstler auf der Liste, zum Beispiel Lonnie Donegan oder Freddie Garrity, bereits das Zeitliche gesegnet hatten. Und Lessig zögerte nicht, seine Erkenntnis mit süffisant ironisch gewürzten Kommentaren zu veröffentlichen: „Wenn Künstler nach ihrem Tod noch Petitionen unterzeichnen können, dann ist es wohl auch nicht ausgeschlossen, dass sie in fünfzig Jahren noch ein neues Album auf den Markt bringen.“

Also alles nur eine Farce, ein „Mittel zum Zweck“, um die Stellung der Musikindustrie im Kampf um möglicherweise lukrative Rechte zu stärken? Wenn die Diskussion, so wie im Moment, nur schwarz-weiß und ohne Auslotung von Zwischentönen geführt wird, ganz bestimmt. Sicherlich geht es auch den Gegnern einer solchen Schutzfristverlängerung nicht darum, noch lebende Künstler nach 50 Jahren ihrer Einnahmen zu berauben. Ein legendärer Altstar wie Fats Domino, der bei der großen Flutkatastrophe in New Orleans seinen gesamten Besitz verloren hat, wird auf seine Royalties, so sie ihm vertraglich zustehen, sicherlich angewiesen sein. Aber genau hier liegt schon ein erstes Problem. Viele Plattenverträge der 50er- und 60er-Jahre waren noch so gestaltet, dass die Künstler gegen einmalige Abfindung ihre Aufnahmen machten. Selbst ein betroffener Künstler wie Freddy Quinn erzählt heutzutage in Talkshows freimütig, dass sein erster Millionseller „Heimweh“ 1956, damals sogar auf eigenen Wunsch, weil er Geld brauchte, mit einer einmaligen Zahlung abgegolten wurde. Wie viele Künstler wirklich von Seiten der Phonoindustrie weiterhin Tantiemenzahlungen zu erwarten hätten, wäre also zu hinterfragen.

Laut ist der Ruf nach einer Gleichstellung der ausübenden Künstler mit den Autoren, deren Kompositionen ja bekanntlich bis 70 Jahre nach ihrem Ableben geschützt sind. Übersehen wird hierbei jedoch, dass die lautesten Rufer in dieser Sache in der Regel sogar doppelt abgesichert sind, denn Stars wie Udo Jürgens oder auch Paul McCartney sind in der Regel nicht nur die Interpreten, sondern auch die Urheber (Komponisten bzw. Textdichter) des aufgenommenen Werkes. In der Realität bedeutet dies nichts anderes als einen urheberrechtlichen Schutz, bei dem ganz schnell einmal 120 Jahre oder mehr zusammenkommen können, denn während die Einnahmen aus den Plattenverkäufen nach „nur“ 50 Jahren wegbrechen, laufen die GEMA-Tantiemen auch nach dem Tod eines solchen Urhebers weiter und alimentieren nicht selten noch Nachkommen in der dritten Generation, die nicht einmal mehr wissen, wer denn ihr musikschaffender Vorfahre überhaupt war.

Weiterhin stellt sich die Frage, wie eine solche Schutzfristenverlängerung für Musikaufnahmen durchgeführt werden soll. Die Debatte, so wie sie heute geführt wird, erweckt den Eindruck, als sei an eine pauschale und somit rückwirkende Verlängerung gedacht. Dies bedeutet nichts anderes, als dass eine Unmenge von Aufnahmen ihren bereits erreichten „Public Domain“-Status wieder verlieren würde, eine Tatsache, die besonders auf dem Klassikmarkt zu skurrilen Auswüchsen führen würde. So wären die Aufnahmen des legendären Tenors Enrico Caruso (gestorben 1921), die inzwischen unbestritten zum kulturellen Erbe gehören, wieder geschützt. Nicht anders erginge es den Aufnahmen eines Wilhelm Furtwängler (gestorben 1954) oder eines Arturo Toscanini (gestorben 1957). Jeder musikwissenschaftlich tätige Autor und auch Musikliebhaber kennt die Problematik: Die interessanten Aufnahmen dieser Künstler wurden eben nicht von der Phonoindustrie gemacht, die sie heute noch – zumeist relativ lieblos aufgemacht – als Billigpreis-CD anbietet.

Die wahren Schätze sind auf unzähligen Privat- und Rundfunkmitschnitten festgehalten, die jahrzehntelang auf immer maroder werdenden Magnetbändern in den Archiven gelegen haben und die jetzt von findigen Archivaren und mutigen Independent Labels unter teilweise erheblichem Kostenaufwand restauriert und vorbildlich editiert werden. Labels wie Naxos, Testament und Hänssler Profil tragen derzeit zu einer kulturellen Vielfalt bei, die ihresgleichen sucht. Auch Veröffentlichungen wie die von Bear Family über den jüdischen Kulturbund („Vorbei – Beyond Recall“) wären ebenso unmöglich wie die Arbeit des Berliner Independent Labels „Edition Berliner Musenkinder“, das in vielen Veröffentlichungen die Lebensgeschichte jüdischer Emigranten (Interpreten wie Komponisten) aufarbeitet, dokumentiert und somit der Nachwelt erhält.

Desweiteren gestaltet sich Jahrzehnte nach Ableben einer Künstlerpersönlichkeit die Suche nach möglichen Rechtsnachfolgern immer komplizierter. Die dann gesetzlich vorgeschriebenen Recherchen sind bereits jetzt mitunter so zeitaufwendig, dass der hierfür notwendige Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zu einem eventuell zu erwartenden Ertrag steht. Erfahrungsgemäß sind Produzenten wie zum Beispiel Rundfunkanstalten schon nach wenigen Jahren nicht mehr in der Lage, korrekte Anschriften oder Kontaktpersonen zu übermitteln, um eventuell abzuklärende Rechte abzufragen. Hier baut sich eine nahezu unüberwindbare Hürde auf, die am Ende nur eine Option zulässt: Entweder man lässt die Finger von einer solchen Veröffentlichung und schadet damit in letzter Konsequenz der kulturellen Vielfalt, oder man riskiert eine Edition, von der man weiß, dass sie rechtlich auf tönernen Füßen steht.

Genaue Überlegungen sind also angebracht, bevor man an der Schutzfristen-Schraube dreht. Einen Schutz noch lebender Künstler zu gewährleisten sollte rechtlich kein Hindernis darstellen. Hierzu genügt es, den derzeit bestehenden geschützten Zeitraum im Prinzip aufrecht zu erhalten und den Gesetzestext mit der Erweiterung „spätestens aber mit dem Ableben des ausübenden Künstlers oder bei Ensembles des zuletzt Überlebenden“ zu versehen. Unreflektierte Entscheidungen und Schnellschüsse sollten aber in jedem Falle vermieden werden, sie könnten unter Umständen eine kulturelle Trümmerlandschaft hinterlassen.

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