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nmz-Titelbild: Die japanische Musikerin Tomoko Sauvage beim Eröffnungs­abend der Berliner MaerzMusik. Foto: Camille Blake/Berliner Festspiele
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Geiz macht uns alle arm

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Mindesthonorare sichern den Fortbestand der Musikszene · Von Roland Spiegel
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In den letzten zwei Jahren wurde es deutlicher als je zuvor: Menschen brauchen Kunst und Kultur. Und dies nicht als Luxusgut, sondern als Mittel zum Überleben. Die Musik spielte da eine besondere Rolle. Man brauchte sie zum Durchstehen langer Durststrecken – und zum Stiften eines Gemeinschaftsgefühls. Die „Ode an die Freude“ als Sound, der von Balkon zu Balkon trug, die Videokonzerte von Popstars, Orchestern und Chören als kulturelle Kommunikation zwischen Städten, Ländern und Kontinenten, während Flugzeuge am Boden und Konzertsäle leer blieben: Die Musik bewegte Gemüter in einer Zeit des Erstarrens und bot Halt in einer zermürbenden Phase der Ungewissheit.

Zeitgleich wurde die Situation vor allem freischaffender Musiker*innen immer prekärer. Viele brauchten Großteile ihrer Ersparnisse auf (die eigentlich bis zur Rente reichen sollten), manche überbrückten die Zeit mit anderen Arbeiten, manche aber gaben auf, beendeten eine Karriere, für die sie lange gelernt, geschwitzt, geschuftet hatten. Wieso auch weiter Mühe aufwenden für etwas, das im öffentlichen Bewusstsein gleich neben den „Spaßbädern“ angesiedelt ist?

Musik ist allgegenwärtig – und für viele ganz selbstverständlich da. Dass manche sie am liebsten umsonst oder höchstens für Cent-Beträge haben wollen, hat sich in den Jahren der Pandemie nicht geändert. Man lädt herunter, man streamt, konsumiert Musik über YouTube und freut sich über stundenlange Beschallung zum Nulltarif. 16,89 Dollar soll der Songschreiber und Sänger David Lowery von einem Streamingdienst erhalten haben, bei dem ein Song seiner Band Cracker über eine Million Mal abgerufen wurde. Mit dem Verkauf eines einzigen T-Shirts verdiene er mehr, meinte Lowery dazu. Über die Unsitte von Gaststätten, nach Bands zu suchen, die für eine begrenzte Anzahl von Getränken und ein Essen auf ein Auftrittshonorar verzichten, schütteln Musiker*innen seit Jahren den Kopf. Doch auch über ein Angebot von 100 bis 150 Euro für Probe und Auftritt bei einer Sonntagsmesse in einer Kirche sind Musikschaffende nicht einhellig glücklich: Denn von Honoraren wie diesen kann (zumindest in deutschen Großstädten) niemand eine Miete bezahlen.

Forderungen der Verbände

Deshalb forderte nicht nur die Gewerkschaft ver.di unlängst die Einführung eines Mindesthonorars für Musikerinnen und Musiker. Auch andere feuern die Diskussion darüber an. So hat die Deutsche Orchestervereinigung eine Kampagne für Mindesthonorare gestartet, möchte „absolute Untergrenzen“ für Proben- und Tagessätze festlegen. Auch „FREO“, die Vereinigung der „Freien Ensembles und Orchester in Deutschland e. V.“, stellte vor kurzem öffentlich Forderungen, denn das „Ausmaß der Unterbezahlung unter selbstständigen Musiker*innen“ sei „weitaus größer“, als die derzeitige Debatte nahelege; das Thema sei jahrelang vernachläs­sigt worden. Seit 2017 legt der Deutsche Tonkünstlerverband Baden-Württemberg jährlich aktualisierte Honorarrichtlinien vor, die mit anderen Verbänden wie etwa ver.di Musik, „artbutfair“ oder der Deutschen Orchestervereinigung abgestimmt sind. Bereits 2014 hat die Deutsche Jazzunion, der bundesweite Verband der Jazzmusiker in Deutschland, die Einführung von „Mindeststandards“ bei der Vergütung im Jazz gefordert – und verfolgt das Thema bis heute.

Was lange gärt, wird endlich Unmut – und das absolut zu Recht. Da die Corona-Krise auch vielen Veranstaltern das Wasser abgedreht hat, ist die Forderung nach Mindestgagen gerade jetzt unpopulärer denn je. Sowohl die Pandemie als auch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine setzen außerdem den Verbrauchern finanziell zu. Das macht es schwer vermittelbar, gerade jetzt für Kulturveranstaltungen mehr Geld ausgeben zu sollen. Leicht ist da der Vorwurf bei der Hand, wer jetzt Mindestgagen fordere, verhalte sich unsozial. Das Problem ist: Viele Gesellschaften verhalten sich seit Jahren potenziell unsozial gegenüber Musiker*innen. Bei weitem nicht jede/r ist ein Stardirigent, der Luxus-Immobilien in Venedig und Los Angeles sammeln kann. Bei weitem nicht jede/r häuft Tantiemen in Millionenhöhe an. Viele unter den freischaffenden Musiker*innen brauchen jeden Cent fürs tägliche Leben.

Musik, man weiß es, kann himmlisch sein. Doch sie fällt nicht vom Himmel. Sie muss erarbeitet werden. Sie kann häufig nur gespielt werden von Menschen, die ein jahrelanges Studium durchlaufen haben und tagtäglich viele Stunden üben, um in ihrer Leistung nicht nachzulassen. Das ist durchaus vergleichbar mit dem Trainingspensum von Spitzensportlern. Urlaub? Das Instrument ist immer dabei. Na klar, denkt manche Zeitgenossin: Musik macht ja auch Freude, Musiker*innen haben ihr Hobby zum Beruf gemacht, das kann doch gar keine Anstrengung sein. Weit gefehlt! Viel Schweiß und manchmal Tränen gehören zum Alltag, um am Instrument fit zu bleiben. Und auch wer noch so hehre musikalische Kunst vollbringt, muss davon häufig eine Familie oder mindestens sich selbst ernähren. Das kann man nicht allein von Luft und der Liebe zu den Tönen. Ein öffentliches Umdenken ist nötig. Oder mindestens: ein öffentliches Neu-Denken. Wer Musik konsumiert, muss bereit sein, dafür etwas zu bezahlen, in angemessener Höhe. In manchen Fällen bedeutet das: mehr zu bezahlen als bisher. Musik ist nicht irgendein Konsumgut, „nice to have“ in guten Zeiten, von anderen Sorgen verdrängt in schlechten.

Musik, die wir brauchen

Ein Streichquartettsatz von Beethoven, etwa das „Molto adagio“ aus seinem Opus 132, Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“, Benjamin Brittens „War Requiem“, aber auch eine Klavierimprovisation Alexander von Schlippenbachs und ein Saxophonsolo der herausragenden jungen Jazzmusikerin Luise Volkmann können in zerrissenen Zeiten wie diesen mehr aussagen als manche flammende Rede. Wer will, dass solche Musik weiterexistiert – und andere so ausdrucksstarke Musik neu geschaffen werden kann –, muss signalisieren, dass sie etwas wert ist. Geiz ist geil, wissen Slogan-Schmiede der Konsumgesellschaft. Das mag schon sein. Aber fest steht: Geiz gegenüber den Musikschaffenden macht uns alle arm. Er zerstört eine differenzierte, nichtkommerzielle Musikkultur: das, was wir spätestens bei der nächsten Pandemie, und eigentlich in jeder herausfordernden Lebenssituation, händeringend brauchen. Die Diskussion über Mindestgagen muss geführt werden. Jetzt. Und nicht erst zu höchst ungewissen „besseren“ Zeitpunkten.

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