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Discokugel des Lichtkünstlers Nils R. Schultze in Halle. Foto: Roland H. Dippel
Discokugel des Lichtkünstlers Nils R. Schultze in Halle. Foto: Roland H. Dippel
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Gemeinsam sind wir autark: Das Netzwerk Impuls setzt in Halle auf große Sichtbarkeit

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Im Frühjahr wurde Impuls, das einzige Flächenfestival für Neue Musik in Sachsen-Anhalt, aus der Landesförderung gestrichen. Schließlich klappte es doch noch mit einer Summe von 10.000 Euro – der sonstige Bedarf für Ausgaben des Festivals vom 18. September bis 30. November 2021 wurde durch mit Hochdruck beantragte und bewilligte Drittmittel ermöglicht.

Mindestens 12 internationale und regionale Partner umfasst die Kooperationsliste, zu denen je nach Zählform eine bis fünf Einrichtungen der Stadt Halle kommen. So entsteht unter dem Namen Impuls ein neues Modul, welches dem Netzwerk mit Geschäftssitz im Kurt-Weill-Zentrum Dessau nochmals in einen Aufwärtstornado bringen könnte. Impuls gibt sich stark mit dem Slogan „Off-the-grid (OTG)“, das heißt autark.

Zum Erreichen der zwei zum traditionellen Impuls-Pressesalon am 7. Oktober ausgewählten Raum- und Freiraum-Installationen in Halle braucht man etwas Zeit. Vom Steintorvarieté über die große Kreuzung zu „Blech – Raum für Kunst“ sind es etwa 200 Meter, zum Riebeckplatz zwischen Hauptbahnhof und der Fußgängerzone zum Markt eine Straßenbahnkurzstrecke. Die musikalische Umrahmung mit der Uraufführung „Tiny Tunes“ für vier Spielzeugklaviere à 25 Tasten geriet sehr verspielt und zu einem fast kindlichen Manifest von Eine-Welt-Musik.

„Impuls bleibt, wie es war.“ verkündeten Leiter Hans Rotman und der Netzwerk-Vorsitzende Andreas Henke. Wie in den Vorjahren gibt es mit diesmal 18 Uraufführungen und 9 Aufträgen (nicht nur Kompositionsaufträgen) an 24 Komponist*innen einen bunten und polylokalen Veranstaltungscocktail. Fortgesetzt wird der Campus für Komposition mit Annette Schlünz, die Kooperation mit Künstlerstadt Kalbe, der Magdeburgischen Philharmonie und anderen Partnern wie dem Ensemble Tempus Konnex. Neben Hans Rotman hat das Netzwerk seit diesem Jahr Julian Rieken als künstlerischen Co-Leiter. Bei der Podiumsdiskussion kündigen Impuls und Prof. Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug, Präsidentin Landesmusikrat, eine verdichtete Zusammenarbeit für das geplante sachsenanhaltische „Musikland“-Jahr 2022 an. Corinna Köbele, Marke Künstlerstadt Kalbe, bestätigte die positive Bedeutung der zur Kontinuität gewordenen Impuls-Aktionen für den dortigen Umgang mit dem demographischen Wandel.

Die Länge der Öffnungszeiten, Veranstaltungsdauern und potenzielle Zuschauerbeteiligung explodieren beim Impuls-Festival 2021. Dieses „Out of the Concert Hall Closets“ wird Impuls in Halle möglicherweise einen Innovationsschub geben, durch den die Lücke zwischen überregionaler Feuilleton-Begeisterung und dem noch nicht ausgeschöpften Publikumspotenzial weiterhin verringert werden könnte.

Der Berliner Elektrokünstler Hainbach baute in den Galerieraum „Blech – Raum für Kunst“ ein Tonband-Geleise mit von ihm zusammengestellten akustischen Hass-Kommentaren. Nach der Gleitwanderung der Bänder durch die Wiedergabemaschinerien und den Raum werden diese in einem technischen Prozess abgeschabt und dematerialisiert. Diese Klanginstallation versteht sich als Reaktion gegen verbale und strukturelle Angriffe durch AfD-Mitglieder auf Impuls, von denen Rotman berichtet. Die andere Bandschleife dient einer Musikwiedergabe, die den geschredderten Hass überdauert.

Eine urbane Begeh- und Erlebniszone war der Riebeckplatz bereits, bevor Impuls in dessen Innenfläche die drei Meter hohe Discokugel des Lichtkünstlers Nils R. Schultze setzte. Die „Knotenpunkt“ genannte Initiative wird bis 14. Oktober mit Klangkollagen ergänzt, die Hannes Lingens aus vor Ort aufgenommenen Tonmaterial mit instrumentalen Ergänzungen durch Trompete, Saxophon und Kontrabass vorgenommen hat. Die Installation verrät viel darüber, was das Netzwerk Impuls als seine Vision und Mission versteht. Über der großen Deckenöffnung des Riebeckplatzes, durch den mehrere Straßenbahnlinien verkehren, brandet massiver Autolärm.

Als Fuß- und Radweg vom Schienennahverkehr in die Stadt durchqueren täglich Zehntausende den Riebeckplatz, der trotzdem zumeist leer wirkt. Die Wandtafeln mit Kurzinformationen zu bedeutenden Personen der Halleschen Stadtgeschichte werden allmählich grau. Geschäftsflächen – derzeit ein Club, ein Steuerbüro, Fastfood und viel Leerstand – wirken immer gesichtslos und haben eine hohe Inhaber-Fluktuation. Schultzes Discokugel ist an diesem Ort also konkretes Bespiegelungsobjekt und gleichermaßen symbolträchtiges Requisit. Es wird spannend, ob Passanten für die künstlerischen Interventionen auf ihren hier mehr eiligen als schlendernden Wegen innehalten und verweilen. Für das Netzwerk Impuls, seine Selbstwahrnehmung und zukünftige Aufgabenprofilierung ist demzufolge gerade dieses Projekt von großer Signifikanz: Wird man durch die Installation Blicke und Ohren neuer Rezipient*innen auf sich ziehen?

Eine „selbstgenügsame Lebensform“ hat das Impuls-Festival, das bis zum 30. November in Halle auch im Volkspark, im Stadtmuseum und der Großgarage Süd musikalisch und performativ agieren wird, nicht nur im Slogan „Off-the-gridĀ. Impuls hat sich bisher mit Nachdruck immer um Nachhaltigkeit bemüht und gerät jetzt durch die nicht ganz überwundenen, aber bisher optimal gemeisterten Hindernisse betreffend Förderung und Bestandssicherung zwangsläufig in einen Sog der Selbstanalyse. Nicht nur das Festival ZeitRäume Basel hat die Eroberung urbaner Flächen und Räume zum Kern seines Konzepts erhoben. Für Impuls wäre es nach dieser Festival-Ausgabe ein Ansatz mit beträchtlichem Nischenpotenzial, seine durch große Entfernungen zwischen Veranstaltungsorten und -zeiten bedingten Dimensionen zu überdenken.

 

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