Facebook, My-Space, Twitter, Blogs: Schon den richtigen Ton zu finden auf diesen Plattformen, in dieser Eu- und Kakophonie der Bilder, Texte und Sounds, ist für den altersbedingt hochgeneigten Thomas-Mann-Freak wie ein Besuch im renovierten Turm zu Babel. Emotionen, die in schnöden Sonderzeichen ausgetobt werden, ein Textlevel nahe dem Analphabetentum – was hat ein Best-Ager da zu suchen, statt beim Edel-Italiener Barolo zu süffeln?
Nun: die allseits verbreitete Datenschnüffelei, der Deal mit privatesten Informationen kann ihm reichlich egal sein. Gläsern ist er dank Schufa, Krankenkasse und Finanzamt längst. Er wird sich auch kaum noch bewerben, seine schwitznäsigen Sitztanz-Fotos rangieren dann dort unter der Rubrik „Menschliche Nähe“. Ist die im Web 2.0 zu finden? – Noch nie hat die nmz so schnell so viele erklärte Freundinnen und Freunde gefunden, wie in ihren drei oder vier Facebook-Monaten. Es versammeln sich Menschen um eine angeblich faltige Print-Oma, auf die wir im Rahmen unserer konventionellen Kontaktwege nie getroffen wären. Dabei erzählen wir keine Märchen, sondern liefern weitgehend Hard-Facts für Special-Interest-Menschen.
Uns Alt-Väter und -Mütter macht manches Kopfschütteln, was da sonst an so genannter Information transportiert wird. Aber nach dem Ermatten dieses anzunehmenden Prä-Parkinson-Reflexes schöpfen wir Hoffnung und freuen uns. Denn eigentlich findet ja nichts anderes statt, als die Umsetzung von Bertold Brechts Radiotheorie in die Medienrealität: mit Bewegtbild in Farbe und bald sicher dreidimensional.
Die Frage „Quantität statt Qualität“ stellt sich für uns in diesem Zusammenhang erstmal nachrangig: Was wir ins Netz hieven, unterliegt ja unserer eigenen journalistischen Qualitätskontrolle. Wir haben auf den technischen Ebenen der elektronischen Spinnennetze für unser Angebot viel Gestaltungshoheit. Im Moment platzieren wir zum Beispiel täglich Videos und Textblog-Beiträge über die wirklich wunderbare Netzwerk-Neue-Musik-Idee, mit „sounding D“ einen Klangzug durch die ganze Republik zu schicken. Also leisten wir nach unserer Überzeugung journalistisch verantwortliche Öffentlichkeitsarbeit im besten Sinn des Wortes. Allerdings, und das ist uns schmerzlich bewusst, auf dauerhaft hinterfragenswerten Plattformen. Denn wir produzieren munter aufwändigen, qualifizierten Content (na gut, unser Problem), aber den fetten materiellen Rahm schöpfen die eingangs genannten Framework-Anbieter ab, deren Leistung sich gewissermaßen aufs Rohrverlegen und Kanaldeckel-Gestalten reduziert. Nette, sicherlich für Programmierer anspruchsvolle Rechenkunststücke zur Füllung der eigenen Konzern-Taschen unter gnadenloser Ausbeutung höchst menschlicher Kommunikations-Sehnsüchte. An dieser Stelle ist ausnahmsweise staatlicher, gesetzgeberischer Eingriff dringend und hart erforderlich. In Ergänzung der Brennelement-Abgabe vielleicht eine Kreativ-Absaug-Steuer für Google, MySpace und Co., die dann den wirklichen Kreatoren der Inhalte zugute käme? Das ergäbe zumindest quantitativ einen „menschlichen“ Bezug, der dem Web gut täte – und den Brecht garantiert eingefordert hätte.