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Geschwister seit über 100 Jahren: Die Bayerische Akademie der Schönen Künste mit der abteilungsübergreifenden Veranstaltungsreihe „Film und Musik“

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Seit den Anfängen des Films an der Wende zum 20. Jahrhundert gehörte Musik stets zu einer Filmvorführung. Von Filmmusik im engsten Sinne des Wortes kann wohl bereits seit den ersten Bemühungen der Kinopianisten, am Instrument einen Bezug zum Geschehen auf der Leinwand herzustellen, gesprochen werden. Explizit für einen Film – den Historienfilm „L'Assassinat du duc de Guise“ – komponierte Camille Saint-Saëns die erste echte Filmmusik bereits 1908. Um diesen über hundert Jahre alten Bezug der beiden Medien Bild und Ton sowie seine Wirkung, wie es ähnlich schon viel früher Wagner mit der Idee des Gesamtkunstwerks vorgeschwebt hatte, geht es in der neuen Veranstaltungsreihe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Die Abteilungsleiter für Film- und Medienkunst, Edgar Reitz, sowie für Musik, Siegfried Mauser, taten sich zusammen, um „Musik und Film – Geschwister der Zeit“ mit Live-Musik zu Filmvorführungen und Podiumsgesprächen ins Leben zu rufen. Dass Reitz immer wieder eine geheimnisvolle Wahrnehmungsebene beschwor, auf der sich die beiden Medien treffen und die angeblich noch niemand erforscht haben soll, will wohl verdeutlichen, dass hier die Faszination geweckt, nicht die Illusion durchleuchtet werden soll. Für Letzteres lägen etwa bei der Kieler Gesellschaft für Filmmusikforschung und anderen Musikwissenschaftlichen oder Wahrnehmungspsychologischen Institutionen zahlreiche Abhandlungen bereit. Die Bemühungen Mausers, theoretische Schlüsse aus den Aufführungen für die Musik zu ziehen, gingen denn auch meist ins Leere.

Zu Begrüßen ist allerdings, dass junge Komponisten explizit Aufträge erhalten, für diese Reihe Werke zu schaffen, wie es bereits für die beiden ersten Veranstaltungen mit Stummfilmen der Frühzeit der Fall war – auch wenn die Auftragsvergabe internen Verquickungen vorbehalten blieb. Doch leider mit einem unbefriedigenden Ergebnis. Steffen Wick – ein Neuling in der Filmmusik – hatte sich zwar bemüht, die Bildbotschaften in die musikalische Sprache umzusetzen, blieb aber doch recht konventionell. Masha Khotimski – erfahren in Vertonung von Dokumentationen – ging in ihrer Filmmusik des zweiten Abends über große Strecken nicht über die Geräuschsynchronisation hinaus. Erhellendes war hier jedenfalls nicht geboten.

Masha Khotimski hatte sich eine schwierige Materie ausgesucht – einen sowjetischen Propagandafilm, der jedoch als ein beeindruckender Dokumentarfilm realisiert wurde. „Dzim Shvante“ (Das Salz Swanetiens) von Mikhail Klatozov aus dem Jahr 1929 stellt eine kleine Volksgruppe im Kaukasus und deren archaische Lebensweise zwischen christlicher und heidnischer Prägung vor. Eine expressive Huldigung eines stolzen Volkes, das in Subsistenz lebt, aber über kein Salz verfügt. Dass es die Sowjetherrschaft überdauert hat, zeigte ein Dokumentarfilm von Lorenz Kloska (SWR) „Die archaische Welt des kaukasischen Ortes Uschguli“. Eine solche gewaltige Kultur liefert Bilder – vor allem, wenn es um kultische Sitten und Bräuche geht –, mit denen Khotimski mächtig zu kämpfen hatte, wie das Making-Of von Lorenz Kloska zeigte.

Letztendlich ordnete sich Khotimski dem Diktat der Bilder unter, hinterlegte mit elektronischen Mitteln, aber auch live erzeugt, brave Geräusche, die der ernsten Thematik eher Slapstick aufzwangen: Klatschen, Lachen, Stöhnen, Stampfen, Atmen, Lamentieren und immer wieder manieriert sprachliches Artikulieren – das erwies sich als nicht gerade inspiriert. Anders in Passagen, in denen der in München angesiedelte Georgische Chor Iberisi unter der Leitung des aus Tiflis stammenden Dirigenten Davit Kintsurashvili die nahezu originalgetreue Gesangskunst vorführte, für deren kraftvolle und kompromisslose Tritonus- und Sekunden-Entblößung ohne Auflösung sich Mauser geradezu begeistern konnte. „Dissonanzen sind fast die Substanz“, konstatierte er und stellte die Verwandtschaft zum Baltikum und der skandinavischen Musik her. Wenige Dissonanzen enthielt das vor etwa vier Jahren komponierte „Kyrie“ des imposanten Georgischen Patriarchen Ilia II., dessen urwüchsige Kraft Khotimski mit dissonanten Reibungen zu konterkarieren sich traute. Momente, die dem Film emotional zutiefst eindrucksvolle Bilder bescherten, die sonst ohne Musik deutlich unter ihrem Potential geblieben wären.

Weit harmlosere Materie hatte sich Steffen Wick mit drei Kurzfilmen für seinen Auftrag ausgesucht – nach dem Motto: movie, magic, music. Selbst in der magischen Kunst bewandert, wählte er die skurrile Welt des französischen Magiers, Illusionisten und Vaters des narrativen Films Georges Méliès, dessen Film „Le Voyage Dans La Lune“ von 1902 mit seinen wundersamen Effekten (in Stop-Motion-Filmtechnik) bis heute geradezu Kultstatus genießt. Hier blieb der Pianist und Komponist Wick, als müsste er die Bilder akustisch nachzeichnen, mit Live-Elektronik (Simon Detel) und Klavier gänzlich illustrativ, exakt an den Jules Vernes nachempfundenen Bildern ausgerichtet und musikalisch im Handwerk verhaftet. Anders beim Einsatz des Henschel Quartetts zum verblüffenden, mit einem märchenhaften Happyend versehenen Sozialdrama „Détresse et Charité“ von 1904, in dem die Musik mit ihrer kurzmotivischen, geradezu minimalistischen Eindringlichkeit ihre Eigenständigkeit gegenüber den Bildern wahren konnte. Einsatz von Geräuschen, die zwar dem Filmgeschehen entsprachen, aber nicht die gänzliche Synchronität suchten, machte die Bilderwelt unmittelbarer, solange noch Raum für Atmosphäre blieb.

Gänzlich in seinem Element zeigte sich Wick im kolorierten Märchenfilm „Le Royaume des Fées“ von 1903, in dem er das Streichquartett mit Klavier und Elektronik verband und damit die drei Filme zu einem hier kulminierenden Zyklus zusammenschloss. Er konzipierte die Erzählung leitmotivisch und verpasste der Hexe eine derbe, volkstümliche, musikalisch eher im Balkan angesiedelte Charakteristik in dissonanter Übersteigerung. Ansonsten ließ sich der Zauberkünstler von den märchenhaften Bildern leiten, auf Atmosphäre und theatralische Dramatik, weniger auf eigenständige Ausdeutung bedacht.
Wicks anschließende Vorführung in der Kunst der Magie lenkte das Thema gänzlich auf die Kraft der Illusion, ohne die Rolle der Musik darin zu betrachten.

Moritz Eggert kam im Podiumsgespräch kaum zu Wort, zeigte dabei auch keinen Ehrgeiz, etwas über die Musik herauszufinden. Es blieb daher ein bezaubernder Filmabend. Ob die Veranstaltungsreihe der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in der Lage sein wird, die Thematik „Musik und Film“ substantiell zu beleuchten oder gar Impulse für die Zukunft zu setzen, bleibt abzuwarten. Es verbleibt schließlich noch die Aufarbeitung von 100 Jahren dieser Beziehung, bevor Schlüsse gezogen werden können.

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