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Unentrinnbar eingesponnen: Kyung Chun Kim als Gefangener in Dallapiccolas Einakter. Foto: Peter Litvai
Unentrinnbar eingesponnen: Kyung Chun Kim als Gefangener in Dallapiccolas Einakter. Foto: Peter Litvai
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Gesualdo hört mit: Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“ in Passau

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Steigt man die Stufen vom Foyer in den Zuschauerraum des schnuckeligen Fürstbischöflichen Opernhauses in Passau hinab, liegen gekrümmte Gestalten im Weg. Eine Besucherin tippt vorsichtig einen Körper an, um sich zu vergewissern, dass es keine Puppe ist.

Diese kleine Irritation genügt schon, um anzudeuten, dass dieser Abend sich ein gutes Stück von der idyllischen Stimmung weg bewegen wird, die der frühklassizistische Raum mit seiner Illusionsmalerei ausstrahlt. Eine Mutter wartet darauf, ihren Sohn im Gefängnis besuchen zu können. Doch bevor die vokal wie schauspielerisch enorm präsente Anna Janiszewski ihren expressiven Erinnerungsgesang anstimmt, der in düstere Traumvisionen umschlägt, tönen Klänge aus dem Bühnenhintergrund, die nicht von Luigi Dallapiccola stammen.

Regisseur Roland Schwab hat sich dagegen entschieden, den nur etwa 50-minütigen Klassiker der italienischen Opernmoderne mit einem anderen Stück zu koppeln. Er will die Konzentration bei diesem einen Stoff belassen und durchsetzt ihn stattdessen mit vier Madrigalen des Don Carlo Gesualdo. Aus der Ferne lauscht der Visionär der Spätrenaissance also gleichsam jener Musik, die in seinen kühnen chromatischen Exzessen schon eingeschrieben ist.

Hätte man entsprechend extreme Stücke ausgewählt, wäre dieser Dialog über die Jahrhunderte hinweg intensiver ausgefallen. Auch akustisch befriedigte die Umsetzung nur bedingt: Elisabeth Reitzer, Martina Langbauer, Mario Eckmüller, Thomas Hermann und Wolfgang Forster singen zwar live aus dem Off und bewältigen die intonatorisch heiklen Werke recht beachtlich, der Lautsprecherklang filtert die sinnliche Qualität dieser Musik aber erheblich.

Die Bebilderung dieser Einschübe (Bühne und Kostüme: David Hohmann) ist freilich von großer ästhetischer Kraft: In einem Netz aus grob geschlungene Seilen schweben weitere Gefangene aus dem Schnürboden herab. Aus diesem luftigen Scheiterhaufen, in den am Ende – als die Hoffnung auf Befreiung sich als die letzte und perfideste Form der Folter entpuppt hat – der Gefangene eingesponnen wird, erklingen Gesualdos Stimmen als Vorboten des Jenseits.

Wenige Handlungselemente auf der Bühne selbst, einer gekrümmten Spielfläche, reichen aus, um den Qualen des Inhaftierten (mit differenzierender Stimmgewalt: Kyung Chun Kim) eindringlich Gestalt zu verleihen. Sie spielen sich hauptsächlich – wenn nicht gerade Oscar Imhoff als Kerkermeister seine tenorale Täuschungsmanöver fährt – in seinem Kopf ab, in choreografisch gestalteten Begegnungen mit fiktiven Mitgefangenen. Auf dem Höhepunkt seiner trügerischen Hoffnung bilden sie einen Durchgang, an dessen Ende die Todeszelle wartet.

Die Niederbayerische Philharmonie geht unter Basil Colemans Leitung mit großer Selbstverständlichkeit an Dallapiccolas ganz eigenen, lyrisch aufgeladenen Umgang mit der Zwölftönigkeit heran. Die vom Band eingespielten, orgelumtosten Chorpassagen (Solistenensemble des Landestheaters) weiten den intimen Leidensraum dieser eigenständigen, kraftvollen Produktion ins Universelle.

Weitere Termine: Passau, 2. Mai; Landshut, 7. Mai

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