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Gewerkschaft: Keine „Klassik-Krise“, aber weiteres Orchester-Sterben

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In Deutschland könne man zur „Zauberflöte“ mit dem Fahrrad fahren, sagte einst der Historiker Christoph Stölzl. Doch das dichte Netz von Orchestern an Opern- und Konzerthäusern ist laut Gewerkschaft in Gefahr.

Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Orchester in Deutschland nach Angaben der Musikergewerkschaft DOV dramatisch zurückgegangen. 37 Klangkörper seien seit der ersten Zählung 1992 dem Rotstift in Ost und West zum Opfer gefallen und «faktisch von der Landkarte» verschwunden, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), Gerald Mertens, am Mittwoch in Berlin. Betroffen seien vor allem die neuen Bundesländer. Derzeit spielten 131 Kulturorchester in der Bundesrepublik.

Gleichzeitig sei die Zahl der Musiker-Planstellen um 19 Prozent von 12.159 auf 9825 geschrumpft. «Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar», sagte Mertens. Angesichts des Sparkurses in öffentlichen Haushalten drohten weitere Orchester zu schrumpfen oder zu verschwinden. Allein im Osten seien rund 37 Prozent aller Stellen verloren gegangen.

Von einer «Krise der Klassik» könne aber keine Rede sein. Opern- und Konzerthäuser meldeten stabile Besucherzahlen auf hohem Niveau, sagte Mertens. Auch die musikalische Vielfalt in Deutschland sei einmalig. Deswegen unterstütze die DOV den Antrag des Deutschen Musikrates auf Schutz der Orchesterlandschaft als immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Mertens appellierte an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), den Bund stärker an der Debatte über die Orchester zu beteiligen. Denkbar sei ein «runder Tisch» mit den Arbeitgebern.

Der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, sagte, die finanzielle Lage in vielen Orchestern sei angesichts der Kürzung der öffentlichen Zuschüsse tatsächlich angespannt. Es seien aber für die meisten betroffenen Ensembles sozialverträgliche Lösungen etwa über Haustarife gefunden worden.

Fusionen von Orchestern seien dort vernünftig, wo es ein Überangebot gebe. Als Beispiel nannte Bolwin die Zusammenlegung der Orchester in Remscheid und Solingen in Nordrhein-Westfalen. Die künstlerische Qualität sei damit in der Region gesichert worden, sagte Bolwin als Vertreter der Arbeitgeber. Er sehe aber kaum noch Spielraum für Fusionen. «Da gibt es nichts, was man noch abbauen könnte.»

Als Beispiele bedrohter Orchester nannte Mertens die Neue Philharmonie Westfalen (Recklinghausen) sowie die Orchester in Rostock, Schwerin, Greifswald/Stralsund und Neubrandenburg/Neustrelitz. 2016 sollen die SWR-Orchester in Baden-Baden und Freiburg fusioniert werden.

Immer öfter würden die professionellen Musiker unter Druck gesetzt, für eine Jobgarantie auf mehr Gehalt zu verzichten.

Planstellen würden über Jahre nicht besetzt. Weniger als die Hälfte der zurzeit 568 unbesetzten Positionen sei zurzeit ausgeschrieben.

Von den 37 Kulturorchestern, die seit 1992 von der Landkarte durch Fusionen, Auflösungen oder Insolvenzen verschwunden sind, waren acht in den alten und 29 in den neuen Bundesländern inklusive Berlin betroffen. Viele Orchester im Osten mit Haustarifen seien überaltert, da immer weniger junge Musiker auf den wenigen noch zwingend zu besetzenden Stellen eingestellt würden.

Erfreulich nannte Mertens das Ende der Männerherrschaft im Orchester. In einigen Ensembles seien mehr als die Hälfte der Musiker mittlerweile weiblich. «Frauen sind beim Üben fleißiger», sagte Mertens.

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