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Measha Brueggergosman und Janina Baechle beim Grafenegger Eröffnungskonzert. Foto: Manfred Klimek
Measha Brueggergosman und Janina Baechle beim Grafenegger Eröffnungskonzert. Foto: Manfred Klimek
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Gewitterfront und Götterfunken: HK Gruber und Beethoven zur Eröffnung des Musikfestivals Grafenegg

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Gewitterfront über Grafenegg. Ausgerechnet am Abend der Eröffnung des fünften Musikfestivals. Aber Grafenegg, auch das mag ein Grund sein für die Beliebtheit des Ortes, bei dem sich Landschaft, Kultur und Kulinarik so wunderbar verbinden, ist das Festival für alle Fälle.

Das Konzert unterm Sternenhimmel muss abgesagt werden, nach Hause gehen muss niemand. Die Konzertgäste bekommen ihre Plätze im Auditorium, dem neuen Konzertsaal von 2008, in seiner Grandform dem berühmten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins nachempfunden. Für Picknickgäste gibt es eine Videoübertragung in die Reitschule, dem Kammermusiksaal des Festivals.

Die Stimmung ist gut, die Erwartungen hoch, die Organisation perfekt, mit kurzer Verzögerung beginnt das Konzert. Die Eingangsfanfare für 26 Blechbläser und zwei Percussionisten, HK Grubers „Demilitarized Zones“, Marschparaphrasen für Brass Band von 1979, sprengt aber beinahe doch die Dimensionen des Saales. Dabei entwickelt Gruber in diesem siebenminütigen Werk, das sich aus Motiven etlicher bekannter Märsche zusammensetzt eine so interessante wie verblüffende Idee. Auf die Mittelstimmen kommt es ihm an, die gilt es zu emanzipieren, zu würdigen weil ohne sie weder die tragenden Unterstimmen noch die virtuosen Oberstimmen zur Wirkung kämen. Gar nicht verkehrt und sicher im Sinne des Erfinders darin ein Abbild gesellschaftlicher Situationen zu sehen und das hauchfeine, der Friedfertigkeit gewidmete Pianissimo, das Gruber zum Schluss eben jener oft übersehenen und überhörten Mitte schenkt, im Ohr zu behalten.

Dann folgen gut 70 Minuten, in denen sich das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter seinem Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada ausgezeichnet präsentieren kann. Beethovens 9.Sinfonie für Soli, Chor und Orchester in d- moll, op. 125, bietet zunächst in den drei instrumentalen Sätzen beste Gelegenheiten die Tugenden eines Orchesters kennenzulernen. Orozco-Estrada lässt zu Beginn die dunklen Passagen wie aus dem Nichts aufsteigen und vermeidet den Fehler mit der folgenden gewaltigen Steigerung die explosiven Emotionen des Schlusssatzes, bei dem der Chor und ein Solistenquartett hinzukommen, vorwegzunehmen.

An Kraft der Interpretation mangelt es nicht, Schärfen gehören dazu, aber auch immer wieder weit gespannte Bögen zarter Klangvisionen. Mit kommunikativer, temperamentvoller Körpersprache lässt der Dirigent in den beiden ersten Sätze die Gegensätze aufeinander treffen, das Podium wird zum geistigen Kampffeld mit unentschiedenem Ausgang und die Musiker folgen dem expressiven Willen ihres Dirigenten, dem sich auch das Publikum nicht entziehen kann. Umso verblüffender die fast unheimliche Ruhe des dritten Satzes, das flehende Thema der der zweiten Violinen und Bratschen. Die Pause zum letzten Satz ist knapp, Chor du Solisten waren schon vor dem dritten Satz aufs Podium gekommen, so hören wir wirklich den Achtung gebietenden Ruf des Basses, andere Töne anzustimmen, nachdem noch einmal der Aufschrei des Beginns anklang. Wenn das in so kultivierter wie ausdrucksstarker Interpretation des Basses Hanno Müller-Brachmann geschieht, sind Maßstäbe für den folgenden Gesang gesetzt. Mit kraftvollen Höhen schreitet der Tenor Michael Schade voran, warme, milde Klänge sind die Spezialität der Mezzosopranistin Janina Baechle, als Sopranistin macht Measha Brueggergosman das Quartett komplett. In der Einstudierung von Walter Zeh erleben wir den Philharmonia Chor Wien mit einer großartigen Leistung, maßvoll im Klang bis in die extremsten Jubelpassagen zum Finale.

Grafenegg im fünften Jahrgang, ein kleines Jubiläum, viel Grund zur Freude. Wieder ist es gelungen renommierte Orchester aus aller Welt mit berühmten Dirigenten und Solisten nach Niederösterreich zu holen. Sicher nicht zuletzt ein Verdienst des Pianisten Rudolf Buchbinder, dem künstlerischen Leiter des Festivals, das auch in jedem Jahrgang einen Composer in Residence präsentiert. In diesem Jahr lädt HK Gruber zu Workshops ein, er dirigiert eigene Werke, dabei eine Uraufführung „Northwind Pictures“, oder tritt als Chansonnier mit dem European Union Youth Orchestra unter der Leitung von Vladimir Ashkenazy in seinem Pandämonium „Frankenstein!!“ auf.

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