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Blick ins Schwarze: „Jenufa“ an der Dt. Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
Blick ins Schwarze: „Jenufa“ an der Dt. Oper Berlin. Foto: Monika Rittershaus im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
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In gigantischer, cleaner Gefängniszelle: Leoš Janáčeks „Jenufa“ an der Deutschen Oper Berlin

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Nähme man den ungebrochen heftigen Schlussapplaus als Maßstab für die Qualität der dritten der drei Janáček-Neuproduktionen an den drei Berliner Opernhäusern in dieser Saison, so gebührte der Neuinszenierung der „Jenufa“ an der Deutschen Oper die Siegespalme, – aber der Schein trügt. Christof Loy, ein Regisseur, der sein Handwerk versteht und andernorts auch mit diskussionswürdigen Neudeutungen hervorgetreten ist, hat sich offensichtlich dem Wunsch des derzeitigen Hausherren, des Generalmusikdirektors Donald Runnicles, angepasst und einen all zu gefälligen Weg des zu erwarteten geringsten Publikumswiderspruchs beschritten, fern jenes den Konservativen unter den Amerikanern als „German Trash“ verhassten Regietheaters.

Christoph Loy führt im Programmheft aus, dass er in seiner Sicht auf Leos Leoš Janáčeks 1894 in Brünn uraufgeführte Oper dem später entstandenen Roman von Gabriela Preissová, der Dichterin der Schauspiel-Vorlage zur Oper, folgt: mit der Küsterin als aufgewerteter Hauptfigur beginnt die Handlung, rechteckig gezoomt und stumm. Die Kindsmörderin wird in eine Zelle gesperrt und erlebt die Handlung rund um ihre Ziehtochter Jenufa und deren uneheliches Kind als Rückblende. So weit, so denkbar gut.

Aber selbst in den Staaten gibt es weder so gigantisch ausladend clean weiße Gefängniszellen, wie sie Bühnenbildner Dirk Becker, mit verschiebbarer Rückwand als Kasten auf die Bühne gesetzt hat, noch werden die Momente der Rückerinnerung im Handlungsverlauf deutlich; am Ende ist dieser Ansatz längst vergessen: Jenufa und ihr Mann Laca gehen einem schwarzen Aushang entgegen, der anstelle des Kornfeldes mit Elektromasten im ersten und einer verschneiten Version derselben Rückansicht im zweiten Akt tritt.

„Její pastorkyňa“ wurde von Janáček selbst mehrfach überarbeitet, und mit seiner Zustimmung auch vom Dirigenten Karel Kovařovic, und die ursprüngliche Partitur hat der Komponist möglicherweise – wie jene der vorangegangenen Oper „Počátek Románu“ – vernichtet. Die Deutsche Oper Berlin wählte Janáčeks eigene Revision des Jahres 1908, die Donald Runnicles im Dauer-Mezzoforte exerziert. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielt unter seiner Leitung sehr diszipliniert, gleichermaßen dicht und klangreich und auch transparent. Thielemanns andernorts geübter Unsitte extrem betonter Generalpausen schließt sich diesmal auch Runnicles an, mit einer überlangen Pause bei Jenufas Ohnmacht und vor dem Mordgeständnis der Küsterin. Der von William Spaulding trefflich einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin spielt im ersten Akt sehr lebendig, hat aber vornehmlich hinter der Szene zu singen.

Die Solistenbesetzung bringt Wiederbegegnungen mit Wagner-Heroinen früherer Tage: Hanna Schwarz als Großmutter Buryja spielt und singt unvermindert jugendlich und ist auch im Outfit von Kostümbildnerin Judith Weihrauch – mit High Heels, grünem Kleid und roter Perücke – so kostümiert, dass sie mühelos für Jenufas jüngere Schwester gehalten werden kann. Hingegen sucht Nadine Secunde als spleenige Bürgermeistersgattin ihr Heil im Outrieren.

Michaela Kaune bewältigt die Titelpartie – zunächst im roten  Kleid, wie ein Klatschmohn im Kornfeld – beachtlich, in den Spitzentönen aber nicht immer rein. Joseph Kaiser verkörpert den trunksüchtigen Števa darstellerisch virtuos, sogar mit Sprungdrehung im Gesang. Will Hartmann als sein Halbbruder Laca ist der stimmlich gewichtigere, tenorale Gegenspieler. Martina Welschenbach als quicke Karolka bringt Frische in das häufig recht zähe Gefüge von Spiel- und Klanggewichtung.
Enttäuschend hingegen die konzeptionell aufgewertete, aber stimmlich zu wenig durchschlagskräftige Stimme von Jennifer Larmone als Küsterin, die sich an diesem Haus selbstredend messen lassen muss an ihrer Rollenvorgängerin, der Maßstäbe setzenden Anja Silja.

Simon Pauly als ein sehr jugendlicher Altgesell, Hila Fahima als weiblicher Schäferjunge Jano, Fionnula McCarthy als hier Schäferin genannte Magd und Stephen Bronk als der hier als Bürgermeister bezeichnete Dorfrichter ergänzen das unausgeglichene Rollengefüge dieses Abends, der – entgegen der Ankündigung – durch zwei Pausen, die auch technisch nicht erforderlich scheinen, arg gestreckt wird.

Der heftige Schlussapplaus brach nach dem zweiten Gesamttableau abrupt ab: vielleicht bemerkte doch ein Großteil der Zuschauer, dass auch diese Erfolgsssteuerung – mit Hilfe des völlig im Dunkel belassenen Zuschauerraums – mit zur Inszenierung gehörte.

Bleibt die Hoffnung, dass die Deutsche Oper Berlin unter der Leitung des designierten Intendanten Dietmar Schwarz, ab Herbst dieses Jahres, wieder zu jener stilbildenden Stätte eines abenteuerreichen Musiktheaters wird, wozu sie die Arbeiten der Regisseure Wieland Wagner und Götz Friedrich einst gemacht hatten.

Weitere Aufführungen: 8., 10., 16. März, 20., 24. April 2012.
 

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