Seid verschlungen, Millionen. An etlichen Stätten der Hochkultur breitet sich, zunächst noch diskret auftretende, Unruhe aus. Warten auf Godot – Becketts berühmtes Theaterstück gewinnt einmal mehr unerwartete Aktualität. Wo bleibt der Sponsor? Vor allem seine Zuwendung?
Seid verschlungen, Millionen. An etlichen Stätten der Hochkultur breitet sich, zunächst noch diskret auftretende, Unruhe aus. Warten auf Godot – Becketts berühmtes Theaterstück gewinnt einmal mehr unerwartete Aktualität. Wo bleibt der Sponsor? Vor allem seine Zuwendung? Am Ende von Wedekinds „Marquis von Keith”, wenn der in schwindelnde Erfolgshöhen emporgestiegene „Held” wieder auf dem Trockenen sitzt, trifft dieser lakonisch die Feststellung, dass das „Leben eine Rutschbahn” sei. Ob Alberto Vilar, der „großzügige Förderer” der Festspiele, Opernhäuser und Orchester sich auf solcher Bahn der Erkenntnis bewegt, bleibt vorerst sein Geheimnis. Nur dass inzwischen verschiedene Institutionen auf das von ihm zugesagte Geld warten, spricht sich, noch hinter vorgehaltener Hand, allmählich herum.Nun möchte man keinesfalls den spendablen Festspielfreund und Opernliebhaber der allgemeinen Verachtung anheimgeben, nur weil angeblich sein Milliardenvermögen im Zuge schwind- süchtiger Aktienkurse in Richtung Keller rutscht. Doch für ein Lehrstück taugt der „Fall Vilar” allemal. Wie schwänzelten in den zurückliegenden Jahren die Herren Intendanten, Festspieldirektoren, Dirigenten und Kulturmanager um den „Onkel aus Amerika” herum, um Gunst und Zuneigung buhlend bei feinen Diners und eleganten Empfängen. Hier eine Million (Dollar, D-Mark, Euro), dort zwei, drei, vier Millionen, manchmal auch zweistellige Beträge für dubiose Musikerziehung der Jugend oder für individuelle Übertitelungen an den Rücklehnen eines renommierten Opernhauses. Alberto Vilar war für vieles gut, und er, der Enthusiast und Liebhaber der Musikkünste, genoss es, sein farbiges Konterfei in jedem Salzburger Programmheft zu entdecken oder sich auf einer edlen Tafel im Festspielhaus verewigt zu sehen. Es soll Leute geben, die das alles eher als widerwärtig empfinden. Auf jeden Fall hat es wenig mit klassischem Mäzenatentum gemein: Der wahre „Liebhaber” spendet, genießt und schweigt. Ihm genügt es, dass die „Künste blühen”, ihnen allein gebührt der Ruhm.
Der „Fall Vilar” eröffnet aber auch den Blick auf die Kehrseite der, sagen wir es ruhig einmal despektierlich, Sponsoritis. Der Sponsor erwartet für seine Gaben, und seien diese noch so gering, immer die Gegenleistung, „Feedback” genannt. Das Kunstengagement dient vornehmlich dem mehr oder weniger aufdringlichen Hinweis auf das Firmenprodukt. Es geht zu wie in der „Ariadne auf Naxos”, wo der „gnädige Herr” gewohnt ist anzuordnen und seine Anordnungen befolgt zu sehen. Schließlich bezahlt er Kunst und Künstler. Nun ist es in der Wirklichkeit allerdings so, dass die Sponsoren höchstens einen Bruchteil der Kunstpräsentation finanzieren. Wenn sich ein Festspielhaus damit brüstet, keine Subventionen für sein Festival zu beziehen, so stellt sich im gleichen Atemzug die Frage, wer denn das eingeladene berühmte Philharmonische Orchester Jahr für Jahr unterhält, wer die Gehälter der Musiker zahlt, wer die Hochschulen finanziert, an denen der qualifizierte Musikernachwuchs für diese Orchester ausgebildet wird? Man möchte einmal die Gesichter der Industriebosse sehen, würde man ihnen zumuten, auch diese Kosten zu übernehmen.
Die öffentliche Hand trägt unverändert die Hauptlast der Kunst- und Musikförderung. Aber: Ist es wirklich eine Last und nicht eine unverzichtbare Verpflichtung? In den Köpfen vieler Politiker, auch Bewohner dieses Landes, scheint immer häufiger die Vorstellung zu dominieren, die Kultursubventionen würden, gleichsam auf dem Gnadenwege, den Künstlern, den Intendanten, Dirigenten, Regisseuren, Museumsdirektoren, Bibliothekaren et cetera gewährt, damit sie sich auf ihren Spielwiesen vergnügen können. Gegen diesen Irrtum kann man nicht entschieden genug ankämpfen.
Kunst und Kultur dienen allein den Menschen, der emotionalen Bildung, der Anregung der Fantasie, selbstverständlich auch dem Vergnügen, und besonders der Erziehung zu sozialer Verantwortung in einer Gemeinschaft, die sich, sei es in Stadt, Region oder Staat, als „Civitas“ begreift, als eine Einheit gleichgestimmter und freier Bürger.
Dieser Erziehung sind Kultur und ihre Förderung vor allem gewidmet, und der Staat und seine von denselben Bürgern gewählten Repräsentanten haben die Aufgabe und Pflicht, diesem Anspruch der „Civitas“ nachzukommen. Auf Sponsoren lässt sich diese Verpflichtung nicht abwälzen. Sie betrachten sich im Zweifels- und Notfall als nicht zuständig, und sie dürfen sich dabei sogar im Recht fühlen, sind sie doch in gewisser Weise zuallererst den Menschen in ihren Betrieben verpflichtet. Alles andere ist Augenwischerei.
Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Thema in der neuen musikzeitung erörtert wird. Doch sind Repetitionen so lange notwendig, bis sich etwas zum Positiven zu wenden beginnt. Warten wir also weiter: auf einen besseren Godot.