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Joyful Voices

Joyful Voices in der Franziskuskirche Mannheim

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„Gospel ist kein Wachstumsmarkt mehr“ - Chöre mischen Genres

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Es geht um die christliche Botschaft und lebendige Musik mit afro-amerikanischen Wurzeln - so beschreibt ein Experte Gospel. Obwohl sich viele Gospelchöre im Südwesten etabliert haben, spielen sie in der christlichen Chorlandschaft eine eher geringe Rolle.

Mannheim - Wenn sich die «Joyful Voices» im Lutherhaus in Mannheim-Sandhofen zur Probe treffen, steht der Spaß an der Musik im Vordergrund. Chorleiter Andreas Luca Beraldo gibt am E-Piano den Takt vor und schon stimmen die Sängerinnen und Sänger ausdrucksstark das erste Lied an. Die Mitglieder des Gospelchores sind ein eingespieltes Team, bestreiten im Jahr rund 20 Auftritte und haben auf der Bundesgartenschau für ihre Performance mehrere Preise eingeheimst.

«Gospel lebt von der Bühnenpräsenz», sagt Christian Gervers, Vorsitzender des Vereins «Joyful Voices - Das Rote Mikrofon» und eine der Bass-Stimmen. Es werde nicht nur starr gesungen, sondern geklatscht, geschnipst und getanzt. Die «Joyful Voices» sind nur einer von zahlreichen Gospelchören in Baden-Württemberg, die vor allem Ende der 1990er an Popularität gewannen.

Bei Gospel geht es auch um Sklaverei

Der christlich geprägte Gesang kommt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten und steht in Zusammenhang mit der Befreiungsbewegung der unterdrückten, schwarzen Bevölkerung. «Es geht um die Verbindung der christlichen Botschaft mit lebendiger Musik mit afro-amerikanischen Wurzeln», erklärt Jörg Sommer, musikalischer Leiter des baden-württembergischen Landesgospelchores «Gospelicious».

Im Vordergrund stehe vor allem die Begeisterung an der Musik. Aber auch Emotionen, Spontanität und die Performance auf der Bühne zeichneten den Stil aus. Das Spannende sei für ihn der spezielle Chorsound, der vielfältig und gesanglich sehr anspruchsvoll sei. Obwohl das Vergnügen im Fokus steht, hört Leiter Andreas Luca Beraldo bei der Probe in Mannheim ganz genau hin. Er merkt sofort, wenn ein Ton nicht sauber nachhallt.

«Die Themen, die im Gospel behandelt werden, sind sehr abwechslungsreich und nicht immer nur positiv. Es geht teilweise auch um Sklaverei», sagt er. Da gelte es, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen und die Emotionen rüberzubringen.

Angela Heimann singt seit September bei den «Joyful Voices» und ist restlos begeistert. Das Besondere am Gospel sind für sie die Harmonien, die den Musikstil auszeichnen. «Singen ist für mich wie Therapie», sagt sie.

Gospelchöre machen nur kleinen Anteil bei Kirchenmusik aus

Obwohl sich die meisten Gospelchöre mittlerweile in der Musiklandschaft etabliert haben, nehmen sie nach wie vor einen eher geringen Teil der christlichen Chorlandschaft ein. Im Erzbistum Freiburg gibt es beispielsweise rund 15 Chöre, die sich dem Genre Gospel widmen, wie eine Sprecherin mitteilt. Sie machen damit nicht einmal fünf Prozent der etwa 340 Chöre aus, die sich musikalisch auf christliche Popularmusik fokussieren und zusätzlich auch andere Genres wie etwa Sacropop im Repertoire haben.

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart gibt es laut Musikdirektor Walter Hirt keine rein auf Gospel spezialisierten Chöre. Das Thema werde von allen Chören bedient. Diese Chöre für christliche Popularmusik sängen unter anderem Gospellieder, aber etwa auch christliche Popsongs. Die Diözese wolle in ihren Chören verschiedene Stile zusammenführen und sie so möglichst breit aufstellen, hieß es auf Anfrage.

Bei den Protestanten ist Gospel verbreiteter. Die evangelische Landeskirche in Baden verzeichnete im Jahr 2020 mindestens 41 Gospelchöre mit zusammen rund 1500 Mitgliedern. «Gospel ist kein Wachstumsmarkt mehr, anders als in den 90er- und Nuller-Jahren», fasst Landeskirchenmusikdirektor Kord Michaelis die Lage zusammen.

Die meisten Chorneugründungen - oft als Projektchöre - verstünden sich heutzutage entweder als Kammerchöre oder als Jazz-/Pop-Chöre. Gerade letztere nehmen seinen Angaben zufolge durchaus Spirituals und Gospels ins Programm, suchen aber auch im Bereich der Unterhaltungsmusik nach einem breiter gefächerten Repertoire.

Kirchenchöre nicht zuletzt seit Corona im Wandel

Auch die «Joyful Voices» experimentieren mit neuen Genres wie Pop und Rock, singen die Lieder auf ihre Weise. Kopieren will der Mannheimer Chor den Sound aus den USA laut Gervers nicht. «Da kommen wir als kleine Gruppe gar nicht ran», erläutert er. Was übereinstimmt, sind kräftige Stimmen, ausdrucksstarke Performances und die Freude am Gesang. «Die familiäre Atmosphäre schätze ich dabei am meisten», sagt Gründungsmitglied Stefanie Schädlich mit leuchtenden Augen.

«Die vorhandenen Gospelchöre sind zumeist etablierte Chöre mit einem stabilen Mitglieder- und Zuhörerstamm», schildert Kirchenmusikdirektor Michaelis. Der Altersdurchschnitt bei der letzten statistischen Erhebung habe um vier Jahre unterhalb des Altersdurchschnitts von Kantoreien gelegen. Etwas stärker vertreten als in anderen Chören sei die Generation der 40- bis 60-Jährigen.

Generell seien die Kirchenchöre im Bundesland - das bestätigen Sprecher der evangelischen und der katholischen Kirche - nach der Corona-Pandemie weniger geworden. «Unserer Einschätzung nach hat die Corona-Pandemie einen Prozess beschleunigt, der auf die Überalterung der Kirchenchöre zurückzuführen ist», heißt es aus der Erzdiözese Freiburg. Einige Chöre seien nach der Pandemie nicht mehr auf die Beine gekommen, bestätigte Kord Michaelis, Landeskirchenmusikdirektor der evangelischen Landeskirche in Baden.

Konkrete Zahlen hierzu habe die Landeskirche zwar noch nicht erfasst, es werde aber deutlich, dass dies vorwiegend solche Chöre betreffe, deren Altersschnitt zuvor schon sehr hoch lag. Diese Generation habe ihr Freizeitverhalten geändert. Proben seien oftmals ausgesetzt worden, was zu nicht mehr einholbaren Qualitätseinbußen geführt habe.

Schließlich orientierten sich Michaelis zufolge nicht wenige freiberufliche Musikerinnen und Musiker um und suchten sich sozialversicherte Beschäftigungsverhältnisse, so dass sie als Chorleitende nicht mehr zur Verfügung stünden. Die Einbrüche beträfen im Wesentlichen kleinere Kirchenchöre, weit seltener Kantoreien, Oratorien- und Kammerchöre an hauptberuflichen Kirchenmusikstellen.

Allerdings gibt es auch Neugründungen: Durch die Pandemie hätten sich kleine Ensembles zusammengefunden, die weiterbestehen, heißt es von der Freiburger Erzdiözese. So sei die Chorlandschaft insgesamt bunter und vielfältiger geworden. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart beobachte man ein ähnliches Phänomen, teilte Musikdirektor Walter Hirt mit. Einerseits lösten sich Chöre oft altersbedingt auf, andererseits entstünden aber auch neue Chöre, wie beispielsweise Familienchöre.

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