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Gurnemanz verliert die Flügel: Stefan Herheims Bayreuther „Parsifal“ im zweiten Jahr

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Nach dem Ende des zweiten Aufzuges schrillte ein „Pfui“, gefolgt von Buh-, aber auch heftigen Bravorufen durch das Festspielhaus. Stefan Herheims Inszenierung des „Parsifal“ als eine Zeitreise von der Uraufführung bis zur Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele nach dem zweiten Weltkrieg polarisiert weiterhin. Insbesondere die konsequente Bebilderung vom Aufbruch der Feldgrauen in den ersten Weltkrieg am Ende der ersten Gralsszene, Klingsors Zaubergarten als makabre, filmzitatreiche Revue im Lazarett bis zum Hissen der NS-Fahnen und Zerstörung des NS-Zaubers verstörte einige Premierenbesucher.

Dabei ist die Bebilderung des „Parsifal“ durch den norwegischen Regisseur so vielschichtig wie die Bedeutungsschichten in der Partitur von Wagners letztem Bühnenwerk selbst.

Inzest ist ein Wagnersches Thema, aber zunehmend richtet sich der Blick auch auf Kindesmissbrauch, der in Siegfried Wagners Oper dritter Oper „Der Kobold“ – zuletzt in Fürth gespielt und inzwischen auch auf DVD – thematisiert wird. In seiner Bayreuther Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ hatte Claus Guth die frühkindlich inzestuöse Vater- zwischen Daland und Senta als verdrängte Ursache allen Übels hervorgekehrt. Und in der „Parsifal“-Inszenierung des norwegischen Regisseurs Stefan Herheim ist dieses Thema auch in Wagners letztem Bühnenwerk eklatant: Kundry, die laut Gurnemanz „nie lügt“, spricht von diesem traumatischen Punkt in der Jugend Parsifals; Herzeleide, von ihrem Gatten verlassen, habe alle Liebe dem Knaben zugewandt, ihn „wütend umschlungen“,– und ob es Parsifal nicht bei solchem „Küssen bang“ geworden sei. Konsequent spielt in Herheims Sicht Parsifals Mutter Herzeleide eine Hauptrolle, und Parsifal ist den ganzen Abend doppelt zu erleben, als Traum und Albtraum, Vision und Rückblende jenes Knaben, der Herzeleides Umarmungen zunächst ausgewichen war. Aber der von allen Männern begehrten Herzeleide, einer Art zweiter Kundry, gelingt es schließlich doch, den Sohn als Liebhaber zu sich ins Bett zu ziehen.

In Wagners „Parsifal“ geht es in der Tat primär um die Frage der Sexualität. Eine andere Ebene des besonders vielschichtigen Bühnenwerks behandelt die Kunst als eine neue Ersatzreligion, eine weitere die Frage des arischen Blutes, verknüpft mit der Hoffung auf einen politischen Retter und Erlöser. Stefan Herheim gelingt es, all diese Schichten konsequent nebeneinander zu bebildern und miteinander zu verknüpfen. In seiner Sicht spielt die Handlung in Haus und Garten von Wahnfried (Bühne: Heikel Scheele), und die Gestalten entschlüpfen dem Grab Richard Wagners in eben diesem Garten. Die Gralsgesellschaft ist zunächst die Gesellschaft der Patronatsschein-Inhaber, also jene frühen Festspielgäste, die zu dem hermetisch ausschließlich in Bayreuth gezeigten Bühnenweihfestspiel Zugang haben und – hierdurch beflügelt – allesamt Engelsflügel auf dem Rücken tragen. Dies hindert die Damen der männlich dominierten Gesellschaft nicht, auch in die Rollen der Verführerinnen zu schlüpfen, die bodenlangen Röcke zu heben und sich befriedigen zu lassen, wenn von Klingsors Untaten erzählt wird.

Die Hoffnung dieser Gesellschaft, in der auch gern und viel „gemauschelt“ wird, richtet sich auf einen „Retter Deutschlands“, und so wird in der zum historisch prächtigen Tempel gewandelten Wahnfried-Saal beim Abendmahl das neugeborene Kind Herzeleides herumgereicht. Zugleich begibt sich der Zuschauer auf eine Zeitreise. Im Jahre 1914, als der „Parsifal“-Schutz aufgehoben und dieses Werk weltweit gespielt wird, verlässt die Gesellschaft Bayreuth: mit Freude und Brimborium zieht man in den Krieg, und die Engelsflügel haben sich zu Tornistern gewandelt. Die verletzten Krieger werden in einem Sanatorium von Krankenschwestern (den Solo-Blumen) gepflegt und die Truppenbetreuung hat den Sexappeal der Zwanzigerjahre, mit Wassernixen im Springbrunnen des Wahnfried-Gartens. Klingsor – ein Transvestit á la Frank N. Furter aud der „Rocky Horror Show“ – trägt immer noch schwarze Flügel, darunter aber Strapse und Seidenunterwäsche (wie sie auch Wagner zur Selbstanimierung gerne trug).

Da Kundrys Reize bei Parsifal nicht fruchten, lässt er NS-Soldaten aufmarschieren. Mit dem wieder gewonnenen Speer zerstört Parsifal das Modell der Gralsburg und damit auch den NS-Zauber, der mitsamt dem hakenkreuzbestückten Reichsadler „in Trauer und Trümmer“ stürzt. Um in der deutschen Trümmerlandschaft einen Neubeginn zu wagen, schlüpft der durch den Fluch verirrte, gealterte Parsifal in das Gewand der Germania. Eine Bühne auf der Bühne zeigt im dritten Aufzug die Nachkriegsvergangenheit, mit dem zerbombten Haus Wahnfried und Trümmerfrauen beim Karfreitagszauber. Wieder soll der Gral enthüllt werden, und wieder sieht sich das Publikum im erleuchteten Auditorium des Festspielhauses im Spiegel. Eine Projektion zeigt Wieland und Wolfgang Wagners Hinweiszettel von 1951 mit der Bitte, von politischen Diskussionen auf dem Festspielhügel Abstand zu nehmen, hier gälte es der Kunst. Und die Schlussszene spielt im Bonner Bundestag, mit dem leidenden Amfortas als Kanzler. Prangte ursprünglich über der Gesellschaft der „Bayreuthianer“ ein Schwan, der dann zum Reichsadler mutierte, so ist es nun der Bundesadler. Selbst die vom Komponisten fürs Ende vorgeschriebene, schwebende Taube fehlt nicht, in Form eines blendenden Scheinwerfers in Taubenform.

Zahlreiche Momente in dieser bilderstarken, üppigen Inszenierung (Kostüme Gesine Völlm), gehen echt nahe, etwa wenn der von Parsifal mit einem Pfeil aus dem Wappen geschossene Schwan in das darunter liegende Gemeinschaftsbett fällt – und sich als der tödlich verwundeter Knabe entpuppt. Eine erschütternde Szene hat Herheim – gegenüber dem Vorjahr – im zweiten Aufzug ergänzt: Wenn Kundry von ihrem Fluch als ewige Jüdin erzählt, sammeln sich um sie immer mehr jüdische Flüchtlinge mit ihren Kindern und eilig gepackten Habseligkeiten, Kunstgegenständen und siebenarmigem Leuchter; ihre und Kundrys Bitte um „Mitleid“ bleibt von Parsifal ungehört.

Dirigent Daniele Gatti schafft den Soundtrack zu dieser Bilderflut, verzichtet jedoch nicht auf einige eigenwillige Pointierungen und nimmt sich viel Zeit für den szenisch eher kargen dritten Aufzug. Mihoko Fujimura als Kundry – mal Dienstmädchen in Wahnfried, mal im Outfit von Marlene Dietrich – ist darstellerisch hinreißend, stimmlich jedoch lässt tut sich die Altistin mit dieser Partie keinen Gefallen, die hohen Lagen geraten unsauber und schrill. Christopher Ventris als Parsifal überzeugt mit Wandlungs- und Stimmstärke. Leider kam Kwangchul Youn als ein brillant artikulierender Gurnemanz durch das Verwechseln einer Textzeile arg ins Schleudern, der gespielte Schmerz über den Verlust seiner Flügel wurde somit aufführungsbedingt überhöht.

Mit hellem Timbre verblüffen der nuancenreiche Amfortas von Detlef Roth und der Klingsor von Thomas Jesatko. Köstliche Charakterbilder liefern erster und zweiter Gralsritter, hier im Outfit von Priester (Arnold Bezuyen) und Leibarzt (Friedemann Röhlig), und tadellos singt und agiert der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor. Die in dieser Inszenierung erforderlichen, permanenten Verwandlungen zwischen Garten und Halle von Wahnfried, Überhöhung zum Uraufführungs-Gralstempel, zu Lazarett und Filmstudio, zur Bühne auf der Bühne und zum Bundestag, bedeuten eine besondere Herausforderung für die Bühnentechnik. So erhielt die – im Vorfeld durch abgewendete die Streikandrohung in öffentliche Diskussion geratene – bühnentechnische Mannschaft erstmals einen eigenen Applausvorhang.

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