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Eingeweide zu Blumenmeeren: Hermann Nitsch bebildert in München Messiaens Franziskus-Oper. Foto: Wilfried Hösl
Eingeweide zu Blumenmeeren: Hermann Nitsch bebildert in München Messiaens Franziskus-Oper. Foto: Wilfried Hösl
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Hermann Nitsch und Olivier Messiaens „Saint François d’Assise“ in München – eine Teilübergießung

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Bei der Premiere war der Skandal ausgeblieben, und auch bei der zweiten Vorstellung geht der Protest über vereinzelte Buh- und Pfui-Rufe nicht hinaus, als nach dem ersten Teil ein Gekreuzigter durch eine Publikumsreihe getragen wird. Aufs Ganze betrachtet erweist sich die Kombination von Olivier Messiaens Franziskus-Oper mit Hermann Nitschs, hier auf Münchner Opernfestspiel-Format heruntergebremstem „Orgien-Mysterien-Theater“ als gar nicht so abwegig.

Es dauert freilich allzu lange, bis es zu einer echten Überblendung von Messiaens himmelstürmender, trotz Vogelgezwitscher eher vergeistigter und Nitschs geerdeter, körpernaher Mystik kommt. Im siebten Bild – Franziskus erfährt Jesu Wundmahle am eigenen Leib – entsteht durch rote Farbrinnsale im Hintergrund nach und nach ein Bild, das stärker wirkt als all die großflächigen Projektionen zuvor. Und von einem jener Gekreuzigten, die in allzu vielen zurückliegenden Szenen mit Farbe überschüttet wurden, verteilen fünf rot aufleuchtende Röhren die Stigmata auf ein liegendes Franziskus-Double.

Der Chor singt dazu – mit aufgeschlagenen Noten, aber in Kostümen – die Gottesworte und stellt so wie die eher aus Platz- denn aus Konzeptionsgründen auf der Bühne postierten Musiker den fließenden Übergang zwischen der oratorischen Anlage des Werks und seiner szenischen (Nicht-)Realisierbarkeit dar. In dieser prekären Balance zwischen Kunstaktion, Inszenierung und konzertanter Aufführung, so scheint es hier, könnte ein Schlüssel zur Visualisierung einer Oper liegen, die quer steht zu sämtlichen Musiktheaterkonventionen.

Eine Beschränkung der Aktionsmittel und eine Steigerung auf dieses Bild hin hätte es noch stärker zum Kulminationspunkt werden lassen können, doch war für Nitsch die Versuchung offenbar zu groß, die riesige Projektionsfläche zur Selbstdarstellung zu nutzen. Sich verschiebende Farbbänder (eine echte synästhetische Verschmelzung mit Messiaens Farbklängen stellt sich nicht ein), Filmaufnahmen einer Tierausweidung (im Moment der Heilung des Aussätzigen in ein digitales Blumenmeer sich verwandelnd) oder die Vogelbildexplosionen in der sechsten Szene: all dies wirkt nicht wie die Arbeit eines Künstlers, der sich – so Nitsch im Vorfeld – in den Dienst von Messiaens Musik stellen will. Eher scheint er sich bisweilen dort aufzuhalten, wo Franziskus zufolge Gott den Aussätzigen erwartete: auf der anderen Seite des Irrtums. Nicht einmal zu den Sphärenklängen des musizierenden Engels stehen die Farbbänder still; das zugrunde liegende Bild eines von Flügeln übermalten Gekreuzigten ist aber zumindest einmal stimmig.

Bis auf wenige, beim Ekel vor dem Aussätzigen eher misslungene Augenblicke, findet eine Personenregie nicht statt; Sänger und Nitsch-Aktionisten agieren weitgehend nebeneinander her, was aber durchaus seinen Sinn ergibt: So wie sich Messiaens Text und Musik geläufigen Dramaturgien – der zeitgenössischen Oper zumal – entziehen, so bleiben sie von Nitschs Kunsthandlungen im Grunde unberührt. Und den Zuschauern ist es überlassen, sich auf Musik und Sänger zu konzentrieren oder dazu in Nitschs pralle Bildwelt einzutauchen – lediglich den in Reihe 6 Sitzenden wird Letzteres einen Moment lang aufgezwungen.

Anders als Nitsch dosiert Kent Nagano das ekstatische Potenzial der Partitur mit souveränem Zeit- und Formgefühl und steigert es mit unerbittlicher Konsequenz auf die beiden Schlussbilder hin. Die leicht didaktisch anmutende, allzu offen daliegende Strukturierung in wiederkehrende Klang- und Motivblöcke bieten er und das famos aufspielende Staatsorchester als ein Angebot an, um so genauer auf die sich verändernden Nuancen in der harmonischen und instrumentalen Klangmischung zu horchen. Der Chor, der für manche Passagen durchaus noch größer hätte sein können, entfaltet in der Einstudierung Sören Eckhoffs eine Klangdichte von transzendierender Strahlkraft.

Ausgezeichnet auch das Sängerensemble mit Paul Gay als ruhig-kraftvoll sich verströmendem Franziskus an der Spitze. Christine Schäfer ist ein nicht bloß ätherisch in die Höhe sich schraubender, sondern auch irdische Verletzlichkeit spiegelnder Engel, John Daszak meistert als Leprakranker die expressivste Partie mit erschütternder Intensität.

Am Ende (das Schüttbild hat sich im achten Tableau allzu vorhersehbar ins gelblich-weiße aufgehellt) relativieren sich alle Vorbehalte, seien sie nun auf Messiaen oder Nitsch bezogen, und lösen sich im scheinbar endlos gesteigerten Finalklang auf. Wie im Libretto vorgesehen erfüllt eine schier unerträgliche Lichtwalze den Raum. Mit geschlossenen Augen verglühen wir in der Musik.

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