Es geht los und es macht Spaß. Den ersten Takten der Ouvertüre mit geheimnisvollem Grollen folgt schon der rhythmische, tänzerische Gestus. Motive tschechischer Folklore werden immer wieder gebrochen von schmetternden oder kichernden Einwürfen der Blechbläser. Melancholie mischt sich mit Übermut. Sehnsuchtsschmachten wie im Kino wird mit neutönerischen Anklängen aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts versponnen.
Dvorák und Janácek mögen hier ebenso Vorbilder geben wie das Schluchzen mancher silbernen Operette. Kontrapunktik hatte der Komponist Jaromir Weiberger gründlich in Leipzig bei Max Reger studiert und eine grandiose Fuge im zweiten Teil der Oper mag man gerne als Hommage an den Meister verstehen.
Und so wird es weiter gehen in den nächsten 150 Minuten, überraschend und verblüffend. Augenzwinkernd auch, so wie man es erwartet, um dann wieder aus vollem Herzen, humorvoll und ironisch übertrieben den Zuhörern ein amüsantes, musikalisches Schnippchen zu schlagen. Weinbergers Volksoper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“, jetzt am Gerhart-Hauptmann Theater Görlitz-Zittau vom Musiktheater mit vollem Einsatz auf die Görlitzer Bühne gebracht, ist alle Mühen der Entdeckerarbeit wert. Nach der Prager Uraufführung 1927 war das Werk ein Welterfolg, besonders im deutschsprachigen Raum, übersetzt von Max Brod, kam es sogar zu Aufführungen an der New Yorker Metropolitan Opera. Der Prager Jude Weinberger, dessen Werke nach 1933 verschwanden, floh vor den Nazis in die USA, zurück kam er nie, das war auch ein Weg ins Vergessen, 1967 floh der 71-jährige Komponist freiwillig für immer, er nahm eine Überdosis Schlaftabletten ein.
Zwei Sagenkreise mit ihren Protagonisten geben die Grundlagen für den Inhalt der Oper. Es geht um den Strakonitzer Dudelsackpfeifer und dessen wundertätige Musik der letztlich sogar dem Teufel aufspielte um dann für immer das Instrument an einen Nagel zu hängen, hinterm Altar des Hl. Prokop, wo man noch immer einmal im Jahr Schwandas Zauberton vernehmen soll. Und es geht um den Räuber Babinský aus Leitmeritz, dem Robin Hood von Böhmen, der 1879 starb, jedoch in romantischer Verklärung und manch literarischem Denkmal weiter lebt.
In der Oper hat Schwanda gerade die schöne Dorota geheiratet, da sucht der Räuber in seinem Haus Zuflucht, benimmt sich wie Lohengrin und Siegmund in einer Person, setzt allen Charme daran den Musikanten aus dem Haus und die Frau ins Bett zu bekommen. Es folgt die Reise voller Gefahren und Verführungen. Schwandas Dudelsack lässt das gefrorene Herz einer verzauberten Königin schmelzen, er gerät mit Dorota, die ihm von weiblichem Instinkt getrieben folgt, in tödliche Gefahr, ruft in letzter Not den Teufel an und der ist sofort zur Stelle. Wie schon zuvor ist auch in höchster Höllennot Babinský ebenfalls zur Stelle, spielt gegen den Teufel und gewinnt, denn seine Liebe zu Dorota ist so groß, dass er um sie glücklich zu sehen, ihr sogar ihren Schwanda wieder zurück bringt. Der hatte noch mal in der Hölle aufgespielt, mächtig, gewaltig das ganze Personal tanzen lassen um sich dann für immer im trauten Heim hinter groß aufgezogener, kleibürgerlicher Gardinenpracht zum Gesang der Gänse im Hof mit Dorota allein gänzlich glücklich zu wähnen. Babinský wird nicht aufgeben, steckte doch der Schelm schon als Pfarrer bei der Trauung unterm Talar, hatte den Fusel dabei und Schwanda schlief ein ehe die Hochzeitsnacht begann.
„Schwanda der Dudelsackpfeifer“, das ist in Görlitz ein teuflisch schönes Spiel, zunächst der Neuen Lausitzer Philharmonie unter der Leitung von Ulrich Kern, turbulent und wirbelnd, manchmal auch ein wenig wuselnd von Klaus Arauner inszeniert. ÄNN hat diesen erfrischenden, kurzweiligen Abend ausgestattet, ob dicke oder dünne Teufel, den Räuber in feiner Rockerkluft, Bauernstube und Eispalast oder Schwanda in der Unterwelt, da kommt keine Langeweile auf. Das liegt auch an den stimmigen Choreografien von Dan Pelleg und Marko E.Weigert bei denen sich gekonnt die Mitglieder der Tanzcompany mit den Damen und Herren des von Manuel Pujol bestens einstudierten Chores durch die unterschiedlichen Genres bewegen können. Der Bariton Kai Günther als Gast gibt den Schwanda, der naive Mann vom Lande mit dem Zauberton, steigert sich stark in Gesang und Darstellung zu glaubwürdiger Interpretation. Sein Gegen- und Mitspieler, der Räuber Babinský, ist Jan Novotny, seine sicheren Höhenflüge des furchtlosen Übermuts liegen vornehmlich in sehr hohen Regionen des Gesanges, markante Charaktertöne mischt der Tenor zudem geschickt mit schelmischen Passagen als Verführer und Glückspielmeister.
Zwischen beiden Männern in dieser Geschichte um die Träume vom großen Glück und dem Auskommen im Kleinen, mit berührendem Wandel des lyrischen und dramatischen Ausdrucks, überzeugt Yvonne Reich als Dorota in dieser anspruchsvollen Sopranpartie. Patricia Bänsch, zunächst in einer mörderischen Tanzszene, hat starke Töne aus frostigem Herzen der eisigen, einsamen Königin. Hans-Peter Struppe ist ein so beflissener wie eloquenter Magier und Stefan Bley ist ein figürlich und stimmlich profunder Satan mit ältlichem Politikerhabitus, dessen Höllenstaat rebelliert und der wie ein taktierender Europa-Parlamentarier doch einem böhmischen Falschspieler zum Opfer fällt. Egill Arni Palsson, Robert Rosenkranz und Jerzy Szostakowski sind als Egon Olsen, Benny und Kjeld, komische, dienstbare Geister in mancherlei Gestalt, geben Landsknechte, Richter, Scharfrichter und einen Höllenhauptmann. So wacht an diesem zur Premiere gefeierten Opernabend über der ganzen Räuberpistole ein großes, liebevoll zwinkerndes Auge, das Theater proklamiert mal wieder den Ausnahmezustand, auf der Bühne kommt keiner zu kurz, im Zuschauerraum erst recht nicht, der Teufel wird pensioniert.
Nächste Aufführungen:
02.12., 10.12., 25.12. und im nächsten Jahr