Von der Einsamkeit des Violintons in Bachs Solopartiten bis zur Klangentfaltung von Chor und Orchester in Schuberts As-Dur-Messe: Das Spektrum der 28. Tage Alter Musik in Regensburg war einmal mehr weit gespannt. Seit jeher setzen die Veranstalter darauf, dass die treue Hörerschaft die Querbezüge zwischen den Einzelprogrammen selbst erspürt, statt sie mit einem vermeintlich allübergreifenden Motto zu versorgen.
So wählten die beiden Vokalensembles für ihr jeweiliges Repertoire einen ganz ähnlichen Zugriff: So wie die sechs Herren von „Gallicantus“ in den Werken von Tallis und Byrd weniger auf Homogenität und Verschmelzung denn auf die Betonung der Stimmcharakteristiken setzten (womit Intonationsprobleme einhergingen), so wählte auch der 14-köpfige italienische Männerchor „Odhecaton“ für Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ und einige eingeschobene Motetten mit expressiver Deklamation und immer wieder heraustretenden Stimmgruppen eine vom ebenmäßigen Interpretationsstil für dieses Repertoire erfrischend abweichende Lesart.
Personell erwies sich die Akademie für Alte Musik als ein Kraftzentrum des Festivals. Mit der Geigerin Midori Seiler, die Bachs Partiten mit Intensität und Risikobereitschaft meisterte, war eine Konzertmeisterin des Orchesters solistisch aktiv, und auch das großartige Amphion Bläseroktett, das mit einem klassischen Programm von Triebensee bis Beethoven mitriss, ist um die Oboistin Xenia Löffler herum mit einigen Kräften der „Akamus“ besetzt. Der Auftritt des Orchesters selbst geriet, ausgehend von einer ohne Dirigent, dafür mit kammermusikalischer Dichte fein durchgearbeiteten h-Moll-Sinfonie Schuberts, zu einem Triumph. Die Regensburger Domspatzen zeigten sich unter der Leitung Roland Büchners in Schuberts As-Dur-Messe in blendender Verfassung, das Solistenquartett, darunter natürlich ehemalige Mitglieder des Domchores, fügte sich trefflich ein.
Ein weiterer früherer Domspatz, der Bariton Thomas E. Bauer, stand zunächst im Mittelpunkt des Mozarts-Programms mit Jos van Immerseels Orchester „Anima Eterna“. Denn bevor dieses im Requiem dem klein besetzten und in gemischter Aufstellung bravourös singenden Collegium Vocale Gent gegenüber fast ein wenig dominierte, servierte der Sänger gemeinsam mit Andrea Lauren Brown eine wunderbare Rarität: Mozarts mit elf Jahren komponierte Grabmusik, eine noch recht barock anmutende Miniaturkantate mit einer veritablen Bass-Koloratur-Arie, wies – wie so oft bei seinen Jugendwerken – auf frappierende Weise auf Künftiges voraus.
Eine Mozart-Oper war dann zwar nicht im Programm, mit Joseph Schusters „Il marito indolente“ (1782) aber zumindest die liebenswürdige Ausgrabung eines seiner beachtlichen Zeitgenossen. Regisseur Dominik Wilgenbus schlug mit eigenen deutschen Rezitativen und einer augenzwinkernden Sparflammenregie einige Funken aus Schusters komischer Oper, die einmal mehr spürbar machte, dass Mozarts Geniestreiche nicht im luftleeren Raum entstanden. Aus dem wackeren Ensemble ragten Thomas Lichtenecker und Katja Stuber heraus, „La Ciaccona“ mühte sich unter Jörg Straubes Leitung nach Kräften, gegen die erbarmungslose Nicht-Akustik des Velodroms anzuspielen.
Den Raum zum unentbehrlichen Gestaltungselement zu machen, das gelang wiederum den Instrumentalisten von „Oltremontano“ und dem Amsterdamer Gesualdo Consort. Im Ehrfurcht gebietenden Schiff der Dominikanerkirche setzten sie trotz moderater Besetzung die mehrchörige Pracht von Giovanni Gabrielis Symphoniae Sacrae, ihre Echowirkungen, ihre Hell-Dunkel- und Laut-Leise-Kontraste auf betörende Weise frei. Die wie von selbst entstehenden Oberton-Schwingungen schienen Regensburg in einen nördlichen Ableger Venedigs zu verwandeln.