nmz 2000/10 | Seite 20
49. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Ich singe, also bin ich
Lars von Triers modernes Musical „Dancer in the Dark“ mit Björk
„Ach wär das Leben doch wie Fred Astaire“, sang in den frühen 80ern Erika Pluhar, zu einer Zeit, als das Filmmusical in den letzten Zügen lag. Innerhalb kurzer Zeit waren noch einmal drei große Filme entstanden, die nur als Schwanengesänge auf das Golden Age des Musikfilms zu betrachten waren: Herbert Ross’ „Pennies from Heaven“, Blake Edwards’ „Victor/Victoria“ und Barbra Streisands „Yentl“. Etwa um diesen Dreh rum war der Däne Lars von Trier auf der Suche nach einem „verlorenen“ Song in seinem Debütfilm „Element of Crime“. Schon damals konnte man bei ihm in einem „Ocean of Sound“ ertrinken, wie ein Jahrzehnt später wieder bei der egomanischen Isländerin Björk und ihrem „Post“-Album.
Björk sang darauf ein Lied aus dem Nachkriegsdeutschland (das von Trier in „Europa“ beschwo ren hat), „Jetzt ist es still“, das über den Umweg Amerika als „It’s Oh So Quiet“ bei ihr gelandet war. Das beschwingte Begleitvideo war im Stil der Jacques-Demy-Musicals der Sixties, man wartete nur noch auf das Auftauchen von Catherine Deneuve – womit wir endlich bei „Dancer in the Dark“ gelandet wären.
Irgendwie hatte man immer darauf gehofft, dass sich Lars von Trier an ein Musical wagen würde. Und nun erzählt er selbst von seinem Traum: „Aber wer weiß wirklich, wie man ein Musical macht? Ich versuchte oft, mich zurückzubesinnen auf meine Kindheit, als ich Musicals im Fernsehen sah und völlig davon fasziniert war, besonders von denen mit Gene Kelly.“ Musicals wie „An American in Paris“ oder „West Side Story“, die dem Melo nahestanden, haben seine Sichtweise auf das Kino so stark geprägt wie seine Liebe zu dem dänischen Meisterregisseur Carl Theodor Dreyer.
Ach wär das Leben doch wie Fred Astaire... „Selma kommt aus dem Osten“, erzählt Lars von Trier über seine Protagonistin, „ihr Leben ist hart, aber sie steht es durch, denn sie hat ein Geheimnis. Wenn die Dinge zu unerträglich werden, dann tut sie, als wäre sie in einem Musical...“ Wie das funktioniert? Die „Links“ zu dieser Gegenwelt sind Melodiefetzen und die Geräusche ihrer Alltagswelt. „Sie liebt die Klänge von allem was lebt: von Händen, Füßen, Stimmen, den Lärm von Maschinen und mechanischen Dingen, die Töne der Natur und vor allem die kleinen Klänge von Defekten, einer losen Bodenplatte etwa.“ Von wem spricht Lars von Trier hier eigentlich, von seiner fiktiven Selma oder seiner Komplizin Björk, Hauptdarstellerin und Komponistin in Personalunion. Die Grenzen verschwimmen. Björk jedenfalls war seine Wunschbesetzung neben Peter Stormare, Udo Kier und Joel Grey, dem „Master of Ceremonies“ aus „Cabaret“. Catherine Deneuve dagegen hat von sich aus ihre Dienste angeboten, als Verbeugung vor seinem Musical-Projekt, das sie wohl auch an die alten Zeiten mit Jacques Demy erinnerte.
Die Songs in den klassischen Hollywoodmusicals von Stanley Donen, Vincente Minnelli oder Charles Walters, sie sind oft Selbstgespräche gewesen, sie haben funktioniert wie das Singen im Walde. Ich singe, also bin ich. Das könnte auch das Credo von Selma und Björk sein, den „Schwestern“ im Geiste. Es sei für sie geradezu befreiend gewesen, die Ängste und Freuden eines anderen nachzuempfinden. „Man ist distanzierter, wenn man Filmmusik komponiert.“ Bei dem Filmprojekt habe sie deshalb ihre Rastlosigkeit überwunden. Für Björk hat sich dieser Kraftakt, der sie freilich in der Haut von Selma bis zum Rand der Verzweiflung trieb, aber noch auf weitere Weise gelohnt. In Cannes erhielt sie für ihre schauspielerische Leistung den Preis als Beste Darstellerin. Manchmal ist das Leben eben doch wie Fred Astaire – aber nur manchmal.
Internet: www.dancerinthedarkfilm.de