Stuttgart (dpa) - Mit dem Slogan «Können Sie sich eine Welt ohne Musik vorstellen? Wir nicht» werben die deutschen Musikhochschulen. Diese Rechtfertigung hört man derzeit allenthalben, wenn es um die Zukunft der Musikhochschulen in der Bundesrepublik geht. Anlass für die Grundsatzdebatte über den Stellenwert von Musik und Musikern in der Gesellschaft war ein Paukenschlag aus Baden-Württemberg.
Mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) stellte im Sommer erstmals seit mehr als zehn Jahren eine Landespolitikerin ein Einsparkonzept für die Musikhochschulen vor. Bauer will 500 Studienplätze und 50 Professorenstellen streichen und damit vier bis fünf Millionen Euro im Etat erwirtschaften. Dass ein so wohlhabendes Bundesland hier den Rotstift ansetzt, sorgt bei den Musikhochschulen auch bundesweit für Moll-Stimmung. «Die Ereignisse in Baden-Württemberg haben in den letzten Monaten Fragen von nationaler Bedeutung aufgeworfen», meint Professor Martin Ullrich, Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen. Der «Schnellschuss» der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin dürfe nicht Schule machen. Musikhochschulen seien kein verzichtbares Luxusgut: «Musik ist ein Elementarbedürfnis. Eine Gesellschaft braucht auch kreative und gleichzeitig hochdisziplinierte Menschen», sagte der Professor und Pianist. Musikhochschulen kosteten im Vergleich zu den großen Hochschulen verschwindend wenig.
«Es ist eine fatale Entwicklung in Baden-Württemberg, dem Leuchtturm musikalischer Vielfalt», klagt auch Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates. «Wir erziehen keine Monokulturalisten», meint er mit Blick auf die im Südwesten geplante Bündelung. So soll sich etwa der Standort Mannheim auf Jazz, Popmusik und Tanz konzentrieren. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, mahnt: «Ohne Breite keine Spitze.»
Den Steuerzahlerbund überzeugen solche Klänge allerdings nicht. Für Wilfried Krahwinkel, Verbandschef in Baden-Württemberg, führt kein Weg an Einsparungen bei den fünf Musikhochschulen vorbei. «Jeder Ausgabenbereich muss zur Haushaltskonsolidierung beisteuern, da darf es keine Ausnahmen geben.» Dass die Einschnitte bundesweit Schule machten, sei nicht gesagt. Denn während Grün-Rot im Haushalt 2013/2014 noch 3,3 Milliarden Euro Neuschulden vorsehe, baue Bayern schon Schulden ab. Der Südwesten sei in einer Sondersituation.
Das Argument einer Überversorgung mit Absolventen - damit begründet der Landesrechnungshof seine Einsparempfehlungen - lässt Höppner nur für die «Flut von Pianisten» gelten. Ansonsten sei der Bedarf an Musikern groß. Allein an den Musikschulen stünden 100.000 Schüler auf den Wartelisten. «Und an den allgemeinen Schulen fällt bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts aus», so der Musikrats-Generalsekretär.
Auch die Orchestervereinigung kann keine Überversorgung sehen. Zwar stünden jährlich 120 bis 150 freie Planstellen in öffentlich finanzierten Orchestern 800 bis 850 Absolventen des Fachs Orchestermusik gegenüber, erzählt Mertens. «Aber der Arbeitsmarkt ist größer als die Festanstellung im klassischen Orchester.» Viele
Musiker gingen, freiwillig oder notgedrungen, in die Patchwork-Existenz, von Hochschulen vornehm als «Portfolio-Karriere» umschrieben.
Ein Nebeneinander von Unterrichten, Kammer- und Kirchenmusik sowie Solo-Auftritten habe seine Berechtigung, sagt Mertens. «Auch die Laienmusik lebt davon, dass es Profis gibt, die die Ensembles anleiten.» Mertens hält die geplanten Streichungen Bauers für schmerzlich, vielleicht aber auch für heilsam. Musikhochschulen könnten sich nicht weiter auf die Position zurückziehen, sie seien ja keine Berufsschulen. «Die Treppe zum Elfenbeinturm wird kürzer.»
Julia Giertz, dpa
Die Landtagsanhörung zu den Musikhochschulen findet am 16. Oktober in Stuttgart statt.