Regionale Kulturarbeit ist ein sensibles Netzwerk aus kommunalem und privatem Engagement. Die fränkische Kleinstadt Hersbruck schafft es seit 13 Jahren, ihre Kräfte so zu bündeln, dass die Stars der akustischen Gitarre ihren Weg dorthin finden. Ein Phänomen mit Signalcharakter.
Gefragt, welche denn die Stradivari unter seinen Gitarren sei, greift sich Johannes Tappert ein auf den ersten Blick unscheinbares Instrument und spielt darauf ein paar überraschend sonore Töne. Und dann erzählt er die Geschichte, wie dieses Schmuckstück, das um 1804 von dem legendären Wiener Gitarrenbauer Johann Georg Staufer geschaffen worden war, auf dem Dachboden eines Bauernhofs gefunden wurde, wo es rund 80 Jahre lang extremen Temperaturen ausgesetzt war. Das hatte dazu geführt, dass der Leim sich auflöste und das Instrument spannungsfrei in Einzelteile zerlegt die Zeit überdauerte. „Ein Glücksfall“, meint Tappert weiter, „denn das Schlimmste, was so einem Instrument passieren kann, sind moderne Kunstharze und Lacke, die bis vor kurzem von Restauratoren verwendet wurden. Das zerstört den ursprünglichen Klang“.
Üben, üben, üben
Diese Staufer-Gitarre hatte Glück. Sie kann wieder fachmännisch geleimt verwendet werden und ist das Herzstück der kleinen Sammlung, die Johannes Tappert zum Internationale Gitarrenfestival in Hersbruck mitgebracht hatte und in einer Ausstellung im AOK-Bildungszentrum Bayern für diejenigen präsentierte, die sich neben der Gegenwart auch für die Vergangenheit der Gitarre interessierten. Außerdem gab er ein Seminar zum Thema „Richtig Üben“, das aktuelle Erkenntnisse aus der Neurobiologie in praktischer Anwendung an die Kursteilnehmer weitergab. Damit war Tappert Teil des umfangreichen Kursprogramms, das von Fingerstyle bis Flamenco und Historischer Aufführungspraxis bis Blues den Kern des einwöchigen Festivals bildete.
Denn es gehört zu den Besonderheiten von Hersbruck, das dort im umfassenden Sinn ganzheitlich mit der Gitarre und ihren Liebhabern umgegangen wird. Man kümmert sich um Ganzkörperkoordination zur Prophylaxe von Haltungsschmerzen, kann mit zahlreichen Instrumentenbauern reden und deren Kreationen ausprobieren. Ein wandernder Notenshop sorgt für Nachschub im Repertoire, rund um die Uhr wird unterrichtet, in Meisterklassen und Einzelstunden. Da die Dozenten und die rund 80 Studenten aller Altersklassen im selben Gebäude untergebracht sind und außerdem der Wettbewerbscharakter anderer Festivals zugunsten einer Arbeitsatmosphäre in der Hintergrund tritt, wird aus dem Festival eine Gemeinschaft, die manche Teilnehmer schon seit Jahren dazu veranlasst, ihre Urlaubsplanung nach den Terminen von Hersbruck zu richten.
Abends die Stars
Der großen Familie im AOK-Bildungszentrum stand darüber hinaus ein Abendprogramm gegenüber, das die Stars, die dort unterrichten, auch für die Bürger der Stadt und des Umlandes sichtbar machte. Das Spektrum der Stile, das der künstlerische Leiter Johannes Tonio Kreusch zusammengestellt hatte, reichte von den Klängen der Barocklaute eines Robert Barto bis zum Gypsy Swing von Diknu Schneeberger, von den amerikanischen Szenestars des Los Angeles Guitar Quartets bis hin zum Flamenco von Gerardo Nuñez, dem argentinisch-spanischen Kosmos von Jorge Cardoso oder dem Fingerstyle von Pierre Bensusan. Sogar eine Uraufführung wurde geboten, die der kubanische Komponist Tulio Peramo Cabrera zusammen mit avancierten Festivalteilnehmern erarbeitet hatte.
Und Johannes Tonio Kreusch hatte ein glückliches Händchen für die Ausgewogenheit der Höhepunkt. Egal, wer spielte, war das Niveau beachtlich und manch einer der Künstler wies außerdem darüber hinaus. Alvaro Pierri zum Beispiel spannte der Bogen von Francesco da Milano über Niccolo Paganini bis Alberto Ginastera und Egberto Gismonti. Seine Perfektion der Nuancierung, seine emotionsgetragene und zugleich kontrollierte Binnengestaltung der Kompositionen hatten bei aller Feinheit eine Emphase, die der Musik eine besondere Aura des Grundlegenden verliehen. Gerardo Nuñez hingegen brachte aus Jerez de la Frontera ein Flamenco-Sextett mit, dass nicht nur durch immense Gestaltungswucht am Rande der Tradition die Menschen in der Dreifachturnhalle von Hersbruck staunen ließen, sondern mit der Tänzerin Carmen Cortes den Showstandard des Festivals setzte.
Während die Brasilianerin Badi Assad mit eindringlichen Liedern mal aus eigener Feder, mal von Kolleginnen wie Tori Amos oder einer Adaption einer Melodie von Yann Tiersen charismatisch auf die Kraft der Stimmung setzte oder der französische Fingerstyle-Meister Pierre Bensusan mit für sein Fach ungewöhnlicher Farbarbeit neben der Virtuosität glänzte, wirkten die Grammy-Profis aus Amerika eher routiniert. Denn das Los Angeles Guitar Quartet präsentierte bis auf Manuel De Fallas betörend vielschichtiges „El Amor Brujo“ bewährtes Entertainment mit schlichten, die Möglichkeiten der Besetzung kaum ausschöpfenden Arrangements. Das änderte aber nichts daran, dass das 13. Internationale Gitarrenfestival ein Niveau der künstlerischen Gestaltungskraft erreichte, das keine Konkurrenz zu scheuen braucht.