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Ins Fäustchen gelacht - Philippe Fenelons „Faust“ im Pariser Palais Garnier

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Johann Heinrich Faust blieb durch mehrere Jahrhunderte hindurch Inbegriff des deutschen Gelehrten älteren Schlags (allerdings einer, der sich allemal zu verjüngen verstand): Nicht nur idealisiertes Abbild eines nördlich der Alpen angesiedelten speziellen Menschentyps, sondern auch Vorbild für dessen notorischen Egoismus und die bedingte Befähigung zu (demokratischem) Miteinander.

Ob eher sächsisch-anhaltinisch-provinziell, preußisch-blau und kaisertreu, nationalsozialistisch tatendurstig, nachkriegsmelancholisch oder in der Postmoderne angelangt - allemal ein ichzentrierter Intellektueller, dem es gelang, sich den Umklammerungen in den Niederungen des Alltags weitgehend zu entwinden und sich selbst noch einmal „neu zu erfinden“. Faust ist eben Faust und deutsch (da helfen auch keine Luftreisen an einen italienischen Herzogshof oder nach Arkadien).

Dergestalt grundgeprägt ist Prof. Dr. Faust auch in einem dramatischen Gedicht von Nikolaus Lenau. Der Dichter, 1802 in Csatád/Schadat (Banat) als Franz Niembsch von Strehlenau geboren, war einer der nicht ganz konventionell lebenden und auch etwas von vormärzlichem Oppositionsgeist erfüllten Intellektuellen in Österreich und Württemberg, produktiv ein Dutzend Jahre zwischen der Niederschrift seiner „Schilflieder“ 1832 und der Einlieferung in die Psychiatrische Heilanstalt Winnenden 1844 während der Arbeit an einem Dramatischen Gedicht „Don Juan“.

Lenaus Faust tritt zunächst als bergsteigender religionskritischer Pathologe in Aktion. Nach dem Zustandekommen des leitmotivischen Blutspaktes bricht der zweite Frühling des Forschers an: beim Besuch einer Hochzeitsfeier greift er die junge Annette ab, beglückt und ruiniert sie rasch. Und flieht. Unterwegs wird aus einer Amoure mit der Frau eines Schmieds am Wegesrand nichts, dafür kommt er Prinzessin Maria nahe. Deren Verlobter, Herzog Hubert, wird in Notwehr erstochen, als dieser den begehrlich werbenden Faust zur Rede stellt. Das bereitet dem Täter zunächst schwere Gewissensbisse, von denen ihn allerdings Mephistopheles mit einem Krug guten Tokajers erlöst. Dann geht es mit dem Schiff hinaus in neue Welten und Stürme, bevor den Doktor Faust kontraktgemäß der Tod ereilt.

Philippe Fénelon, ein in Frankreich geschätzter Literaturopernkomponist, hat als sein eigener Librettist die 3.437 Verse Lenaus auf zehn appetitanregende Häppchen verkürzt - auf sieben jeweils knapp gehaltene Bilder nebst Prolog, Epilog und einem „Intervention“ genannten Intermezzo, das im besonderen mit Gott und der Welt hadert. 1998 reüssierte Fénelon an der Pariser Opéra Bastille mit der Oper „Salammbô“ nach der Novelle von Gustave Flaubert, ohne für die exotischen Reize und die Vielschichtigkeit der literarischen Vorlage musikalische Entsprechungen entwickeln zu können. Beim „Faust“, der weitgehend unbemerkt von der überregionalen Öffentlichkeit 2007 in Toulouse uraufgeführt und nun ans Palais Garnier in Paris übernommen wurde, vermochte er auch nicht wirklich schlüssig unter Beweis zu stellen, warum die von ihm verarbeitete schlanke Geschichte zwingend eine so ausladende und symphonisch dicht bis dick grundierte Musik benötigt. Im Grunde passt die von Fénelon vorgenommene musikalische Möblierung mit dem
Arsenal der Grand Opéra - nebst großen Ballett-Tableaus - wie eine imperiale Faust auf Lenaus lyrisches Biedermeier- und Vormärz-Auge.

Dem Hang zu Vergrößerung und Vergröberung erlag auch der Regisseur, Bühnen- und Lichtgestalter Pet Halmen. Der Berg, auf dessen Gipfel sein Faust zu Beginn stürmt, ist ein monströser Totenkopf, durch dessen säuberlich poliertes Gedankenfach sich ein Aal schlängelt (vielleicht ist es auch die dem Paradies entwischte Schlange, die sich einst an Eva erprobte). Konsequenterweise nimmt Dr. Faust zusammen mit einem Kollegen die nächtlichen Autopsien, durch die er dem menschlichen Lebensprinzip auf den Grund kommen möchte, auch auf diesem überdimensionalen Schädel vor. Ein Dritter gesellt sich sachkundig hinzu: Méphistophélès, der in der repräsentativen Gestalt und mit dem sonoren Bariton von Robert Bork als Spielführer hervortritt. Im Grunde hat er kein allzu schweres Spiel mit Arnold Bezuyen als Faust, der so gar nichts Intellektuelles ausstrahlt, sondern wie ein robuster Metzgersgesell wirkt.

Mit praller Pracht bemüht Pet Halmen dort, wo Lenau sich in religionskritischen Erwägungen ergeht, Symbole der katholischen Konfessionsgeschichte. Auch das Volksfest mit dionysischem Bock und überbordend kostümierten Folklore-Tänzern folgt dem Trend zu gleißenden Bildern. Wahrhaft wuchtig geriet das für die finale Ausfahrt aufgefahrene Hochregallager mit lauter überdimensionalen Faust-Büchern. Die auf Simplifizierung und Banalisierung angelegte Symbolik ist dekorativ, nicht konstruktiv. Ein halb skelettiertes Pferd und der zottelige Riesenhund Prästigiar traben über die Bühne. So rundet sich der überwältigende Eindruck. Die neuen neokonservativen Betreiber der Nationaloper in Paris können sich ins Fäustchen lachen: mit einem aus der Provinz in die Hauptstadt gehievten, auf moderate zeitgenössische Musik gestützten Werk fangen sie einen Publikumserfolg ein. Übrigens sind die Juden irgendwie schuld am fundamentalen Dilemma Fausts (sie hätten ?die Natur? verraten), meint jedenfalls Lenaus und Fénelons Mephisto.
Der Regisseur hat die antisemitische oder vielleicht auch antisemitismuskritische Pointe übersehen.
 

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