Schon gehört? Hessens Ministerpräsident Roland Koch fordert die sofortige Internierung aller Mitglieder der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Und beim nächsten Bundeswettbewerb „Jugend musiziert” erhalten die türkischen Teilnehmer an der Baglama-Wertung automatisch 25 Punkte. Nun ja, beide Meldungen sind etwas übertrieben. Aber sie flankieren gewissermaßen ein deutsches Problemfeld: Wie gehen wir mit anderen, mit fremden Kulturen um?
Die – gerade in Künstlerkreisen – anfangs heftige Zustimmung zur Erweiterung der Europäischen Union ist längst in Ernüchterung, teils in Angst oder gar Fremdenfeindlichkeit umgeschlagen. Beispiel Sinfonie-Orchester: Außerordentlich kostengünstige und dabei bestens ausgebildete „Konkurrenz“ aus den Beitrittsländern stellt gewachsene deutsche Tarifstrukturen im Orchesterbereich in Frage, schüttelt eine traditionsreiche Kulturlandschaft durcheinander, möglicherweise bis zur Existenzgefährdung. Schon ist von Prostitution, von Menschenhandel, die Rede. Aber dürfen wir – sozusagen zur Besitzstandswahrung – ausländischen Künstlern, die eben aus einem ganz anderen sozialen und kulturellen Umfeld kommen, die unter anderen, uns vielleicht völlig unverständlichen Konditionen gern und gut arbeiten, ihre EU-vertraglich zugesicherte Mobilität in der Berufsausübung tatsächlich verwehren? Welche Haltung nehmen wir Deutsche in dieser Frage ein? Wir sind doch im Grunde unsres Herzens keine Chauvies!
Kleiner Sprung: Haben Sie über die Taiwanesen-Witze, die an bundesrepublikanischen Musikhochschulen reichlich kursieren – vielleicht hinter vorgehaltener Hand – auch so herzlich gelacht? Ist nicht andererseits gerade die amerikanische Kultur – wenn man das, was da abgeht, überhaupt so nennen will – bis auf ganz wenige Ausnahmen völlig dekadent und derangiert? Eine Ansammlung moralischer Verkommenheit, deren Inkarnation sich in der Person von George W. Bush präzise wiederfindet? Allenfalls ein ganz klein bisschen Recht hatte dieser texanische Cowboy bei der Behandlung jener ohnedies reichlich kulturfeindlichen Mullahs. Vor denen muss man sich schützen. Die Chinesen hingegen sind ganz anders: Ein Volk auf dem Sprung in die Freiheit – mit viel Liebe, Interesse und Verständnis gerade auch für unsere abendländische Musik. Ein bisschen ähnlich den Japanern, bloß unverbrauchter. Und den Gipfel an Spontaneität in Verbindung mit ursprünglicher Musikalität erleben wir doch regelmäßig bei den farbenfrohen Tanz- und Trommel-Veranstaltungen unserer afrikanischen Brüder und Schwestern. Während uns der andächtige Gesang buddhistischer Mönche stark an unsere eigenen kultischen gregorianischen Wurzeln erinnert…
Wir urteilen gern schnell und deutlich. Eine andere, behutsame und geduldige Form der Annäherung an eine fremde Kultur, die je näher sie rückt umso fremder scheint, betreibt der Deutsche Musikrat unter der Leitung von Hannelore Thiemer mit seinem Begegnungsprogramm im Rahmen des Warschauer Herbstes seit fünf Jahren auf bewusst unspektakuläre Weise. Die Ergebnisse können sich sehen und hören lassen: Was die polnisch-deutsche Ensemblewerkstatt für Neue Musik und ihre Begleitveranstaltungen auszeichnet, ist das Wachsen eines vielschichtigen Kommunikationsfeldes. Es reicht von der Alltags-Begegnung über das gemeinsame Musizieren bis hin zur Klärung kultureller und politischer Differenzen – und Gemeinsamkeiten. Auf solche und viel eigene Erfahrung kann der Deutsch-Französische Kulturrat bauen, wenn er dieses Jahr im Vorfeld des Warschauer Musikfestes seine Konferenz über künstlerische Existenz in den neuen EU-Beitrittsländern und mögliche Quer-Wirkungen für die „Stamm-Staaten“ Deutschland und Frankreich veranstaltet. Die gewonnenen Erkenntnisse wird wiederum der Deutsche Musikrat, wahrscheinlich noch in diesem Jahr, bei einem Kongress unter dem Arbeitstitel „Kulturelle Identität – Interkultureller Dialog“ vertiefen können. Das ist die gute Nachricht dieses Monats. Langweilig?
Finanzausstattung auf bescheidenem Niveau
Zum Leitartikel „Auf-Klärung“ von Theo Geißler, nmz 2/05, Seite 1