Als der amerikanische Altsaxophonist Lee Konitz im Vorjahr mit der „German Jazz Trophy“ ausgezeichnet wurde, war dieser 85. Nun traf es einen jüngeren Bläser: Chris Barber, 84. Die undotierte Auszeichnung „A Life for Jazz“ für den englischen Posaunisten erfolgte als Anhängsel der Jazzopen im Eventcenter der „SpardaWelt“ am Hauptbahnhof. Übergeben wurde dem vielfach engagierten Künstler eine einst von Otto Herbert Hajek kreierte farbenfrohe Skulptur.
Chris Barber wurde als vorlauter „Ice Cream“-Verkäufer weltberühmt und reich. Mit dem eigentlich seit den 20er Jahren bekannten Wortspiel „I scream, you scream, everybody wants icecream“ wurde Chris Barber vor genau sechs Jahrzehnten populär. Der textlich und musikalisch turbulente Titel geriet zu seinem Markenzeichen. Trat fortan in Mitteleuropa eine mittelmäßige Oldtime-Jazz-Kapelle auf, dann schrien (und lechzten) alsbald - oft alkoholisierte - Fans nach der heißen „Ice Cream“. Mittlerweile bekommt das seriöse Publikum in Konzertsälen diese meist als eingeplante Zugabe serviert.
Doch Donald Christopher Barber, geboren am 17. April 1930 in der Grafschaft Hertfordshire, verharrt nicht eingleisig auf der Trad-Jazz-Schiene. Immer wieder vereinnahmte er Skiffle, Folk, Blues und Rock und war musikorganisatorisch tätig. Typisch für Chris Barber ist das Nichtvorhandenseins eines Pianos in seinen Gruppen. Natürlich, die Marching Bands im alten New Orleans konnten sich dieses sperrige Instrument nicht antun, aber schon Louis „Satchmo“ Armstrong stattete seine Ensembles mit einem Klavier (dessen Tasten zuweilen seine Frau bediente) aus.
Nach wie vor bläst und zieht Chris Barber sehr beweglich mit weichem Klang seine Posaune. Einen Altersbonus muss er nicht einfordern. Genauso ungebrochen tönt er mit seiner hohen Tenor-Stimme. Infolge eines häuslichen Unfalls mit dem Bruch eines Knöchels des linken Fußes war der Meister aus England an einen Rollstuhl gefesselt. Dieses Handicap verminderte jedoch nicht seine verbale Agilität und seinen Humor – und schon gar nicht sein zupackendes Posaunenspiel. Nur an den Kontrabass konnte sich der Multiinstrumentalist nicht stellen.
Doch bevor „The Big Chris Barber Band“ ihr honoriertes Dankkonzert abspielen konnte, war das Preisen und Reden angesagt. Durch den Abend führte traditionsgemäß der TV-Moderator Markus Brock. Der neue Sparda-Bank-Boss Martin Hettich durfte sich zu seinem Verhältnis zum Jazz äußern, Götz Bahmann wurde über seine Kulturgemeinschaft befragt. Andreas Kolb, Chefredakteur der in Regensburg beheimateten Jazzzeitung, umriss in seiner kundigen Laudatio das universelle Schaffen des Jubilars.
Dann also Chris Barbers bewährte Großformation, ein Tentett. Nach der obligatorischen Eröffnungsnummer „Bourbon Street Parade“ im polyphon-kontrapunktischen Südstaatensound, konzentriert sich Barber mit seiner Gruppe jedoch auf den Vorkriegsswing von Duke Ellington. Da wurde dann aus den „Roaring Twenties“ in gewitzten Arrangements von Bob Hunt, welcher bei Barber neben Posaune sporadisch noch Trompete blies, außer sehr vertrauten Ellington-Stücken wie „C Jam Blues“ und „Black And Tan Fantasy“ auch weniger eingängiges Material reanimiert und vehement mit den diversen Dämpfern „gegrowlt“. Unmittelbare Improvisationen gab es in den jeweils äußerst kurzen solistischen Beiträgen kaum, dafür aber total auswendig ein hochpräzises Zusammenspiel der (viel singenden) Instrumentalisten bei perfekter Lichtregie. Alles durch und durch professionell.
Mit dem Trompeter Mike Henry, dem Tenorsaxophonisten und Klarinettisten David Horniblow Bert Brandsma, dem Banjospieler und Gitarristen Joe Farler, dem Bassisten Jackie Flavelle und dem deutschen Drummer Gregor Beck, der schon mit dem Duce-Sohn Romano Mussolini (Piano) musiziert und sich mal mit dem Schweizer Charly Antolini eine wilde Drum-Battle geliefert hatte, präsentierte Posaunist Barber als „Band in the Band“ sein reguläres Sextett.
Amy Roberts als dritte Holzbläserin und Peter Rudeforth als zweiter Trompeter brachten sich gekonnt in die minimalisierte Big Band ein. Und auch sie beteiligten sich letztendlich am fröhlichen Beerdigungslied „When The Saints“, das die Barber-Bands unabhängig ihres Ausmaßes erschallen lassen
Zu seinem 75. Geburtstag erhält der Bassist Eberhard Weber im Januar 2015 den „Sonderpreis für das Lebenswerk“, eine Extra-Ausgabe vom „Jazzpreis-Baden-Württemberg“. Für eine derartige Ehre durch die Kulturgemeinschaft Musik+Wort e.V. samt der Stiftung Kunst & Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg als Geldgeber ist es mittlerweile zu spät, denn der so Ausgezeichnete muss sich jeweils umgehend konzertant revanchieren. Nach einem Schlaganfall 2007 kann der halbseitig gelähmte Bassist jedoch nicht mehr in die Saiten greifen, bleibt aber komponierend musikalisch aktiv.