Im Magazin der Süddeutschen Zeitung gibt es eine Kolumne mit dem Titel: „Das Beste aus aller Welt“. Dazu gehörte nach Meinung des Autors Axel Hacke vor kurzem auch die „Aufführung“ des längsten Musikstückes der Welt, das Orgelstück „Organ 2/ASLSP“ (1987) von John Cage. Es ist dem großen Organisten Gerd Zacher gewidmet, der es 1987 mit einer Dauer von 29 Minuten uraufgeführt hat.
Im Rahmen einer Orgeltagung 1997 in Trossingen ist vor dreizehn Jahren die für viele verrückte Idee entstanden, die Interpretationsanweisung „As slow as possible“ in die klingende Tat umzusetzen. Dieser relativen Anweisung sind bei allen Instrumenten natürliche Grenzen gesetzt: die des Verklingens eines Tones. Nur bei der Orgel ist die dauerhafte Luftzufuhr möglich und man einigte sich auf 639 Jahre. Ausgangspunkt war die Jahrtausendwende 2000, 639 Jahre zurück wurde 1361 die wahrscheinlich erste zwölftönige Orgel von Nicolaus Faber für den Halberstädter Dom fertig gestellt. Die Klangwechsel des genau notierten akkordischen Stückes dauern zwischen einem Monat – eine Vorschlagsnote – und drei Jahren – Viertel- und halbe Noten.
Die dafür gebaute kleine, manuell nicht spielbare Orgel wurde in der leer stehenden romanischen Burchardi-Kirche installiert und der Klang in der ruinenhaften, zerfallenden Kirche ergibt eine Spannung über den Begriff Zeit, dem sich kaum einer entziehen kann. So verzeichnet die John-Cage-Orgelstiftung Halberstadt inzwischen bis zu zehn tausend Besuchern pro Jahr. In Halberstadt kennt jeder Bäcker und jeder Taxifahrer das Projekt.
Anfang Juli passierte der nun 9. Klangwechsel, den immer irgendwelche Prominenten aus Politik und Kunst medienwirksam vornehmen, darunter auch schon die Halberstädter Alexander Kluge und Wibke Bruhns. Diesmal war es die amerikanische Schauspielerin, Musikerin und Performerin Laura Kuhn, Cages letzte Mitarbeiterin, die mit dem John Cage Trust in New York seinen Nachlass verwaltet: „Man zittert dabei“, sagte sie danach, „es ist sehr aufregend“.
Das zweigestrichene e wurde von ihr aus dem Klang weggenommen, nun steht der neue, für viele mystische Klang wieder bis zum 5.2.2011. Obschon die Stiftung – es gibt auch einen Förderverein – sich um umrahmende Programme und weitere künstlerische Aktivitäten bemüht, muss derzeit noch alles ehrenamtlich gemacht werden. Die Offenheit ist sicher im Sinne Cage; auch wie es mit der Orgel, die noch nicht über alle in Zukunft geforderten Register verfügt, weitergeht, ist derzeit noch „in progress“. So war jahrelang einer der berühmtesten Köpfe der zeitgenössischen Musik und zusammen mit Rainer Riehn Mitbegründer des Projektes Heinz Klaus Metzger in Halberstadt produktiv tätig. Man nutzte den letzten Klangwechsel, um dem im Oktober 2009 verstorbenen zu gedenken: er erhielt zusammen mit Rainer Riehn eine Klangtafel in der Kirche.
Die Diskussionen darüber, was John Cage im 20. Jahrhundert bewirkt hat, verändern sich. Nicht verändert sich der inspirierende Anspruch Cages: „…und Cage konnte endlich Töne, Geräusche, Pausen, selbst die Modi ihrer technischen Hervorbringung sie selber sein lassen. Nicht eingebunden in irgendwelche Zwecke oder heteronomen Verfügungen, hinter denen sich allemal Herrschaft verbirgt“. So formulierten es Metzger und Riehn und so ist es auf der Gedenktafel festgehalten, mindestens bis 2639.