Der Münchner Schriftsteller Albert Ostermaier hält nichts von einer Generalkritik am Regietheater. "Ich bin Gegner dieser Verteufelung und Mystifikation des Regietheaters", sagte Ostermaier der Nachrichtenagentur ddp. "Alles, was man auf die Bühne bringt, ist immer eine Interpretation, eine Übersetzung. Der Begriff der Werktreue ist ein Kampfbegriff, der nichts mit der Realität zu tun hat. Und er ist auch völlig ahistorisch."
Zuletzt hatte der neue Chef der in einen Finanzskandal verwickelten Salzburger Osterfestspiele, Peter Alward, im Zusammenhang mit angeblichen Auswüchsen des Regietheaters von "öffentlicher Masturbation" gesprochen.
Die Geringschätzung einer aktualisierenden Aufführungspraxis wertet Ostermaier als Ausdruck einer kindlichen Sehnsucht. Dies sei die Sehnsucht nach dem Gefühl, welches man empfunden habe, als man zum ersten Mal mit einem Theater- oder Musikstück konfrontiert worden sei. "Das geht einher mit einer emotionalen Sicherheit, wie man einmal etwas als schön definiert hat." Diese Sicherheit werde natürlich torpediert, wenn man von einem Regisseur oder Dirigenten eine ganz andere Sichtweise präsentiert bekomme. "Die Enttäuschung ist dann oft programmiert."
Dabei stelle sich allerdings die Frage, ob der persönliche Kunstgenuss darin bestehe, vertrauten Dingen Neues abzugewinnen oder lediglich in der "ständigen Wiederholung des Altbekannten". Die Haltung, beständig Altes zu repetieren, lasse jedoch nichts Neues entstehen. "Mit dieser Haltung hätte es auch Mozart oder Wagner nicht gegeben. Die hätten keine Chance gehabt", sagt der 42-jährige Autor, der in seiner Geburtsstadt München lebt und arbeitet.
Ostermaier gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Dramatiker und Lyriker. Am kommenden Montag bringt die Bayerische Staatsoper die Oper "Die Tragödie des Teufels" erstmals auf die Bühne, zu der Ostermaier das Libretto geschrieben hat. Grundlage für Ostermaiers Dichtung ist das 1861 entstandene Drama "Die Tragödie des Menschen" des ungarischen Schriftstellers Imre Madàchs, das als ungarischer "Faust" bezeichnet wird. Die Musik stammt von dem ungarischen Komponisten Peter Eötvös.
In der "komisch-utopischen" Oper von Eötvös und Ostermaier schickt der gefallene Engel Lucifer Adam und Eva auf eine Reise durch verschiedene Welten zwischen Realität, Virtualität und Science Fiction, wobei Ostermaier unter anderem mit Motiven des US-Science-Fiction-Klassikers "Matrix" aus dem Jahr 1999 spielt. Darin erfährt ein Computer-Hacker, dass die Welt, wie wir sie kennen, nur eine Scheinwelt ist, die den Menschen von der "Matrix", einer Schöpfung von Maschinenwesen aus dem 22. Jahrhundert, vorgegaukelt wird.
Die Oper als Kunstform hält Ostermaier nicht für überholt. "Oper hat einen ganz großen Resonanzraum, durch alle Generationen hindurch." Zwar neigten junge Menschen dazu, die Oper zunächst als Fremdkörper zu betrachten, als Relikt aus einem anderen Jahrhundert. Aber auch die Oper verändere sich ständig. "Wenn es gelingt, wenn Musik, Text und Inszenierung zusammenkommen, kann man etwas schaffen, das eine große emotionale Dichte und Durchschlagskraft hat."
Ostermaier bezeichnet sich selbst als "musikaffin". Er komme jedoch eher von der Rockmusik, habe auch einmal selbst in einer Band gespielt. Seine erste Opernerfahrung machte der Schriftsteller bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth. Als Gage für eine Lesung habe er damals Karten für den "Ring des Nibelungen" erhalten. "Ich wurde praktisch mit Wagner initiiert. Das war ein sehr guter Einstieg, dramatisch und fulminant."
Ostermaier veröffentlichte 1988 erste Gedichte und erhielt zwei Jahre später ein Literaturstipendium der Stadt München. 1995 trat er mit seinem Stück "Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie" im Bayerischen Staatsschauspiel erstmals als Dramatiker in Erscheinung. Seitdem war er als Hausautor unter anderem am Nationaltheater Mannheim und am Wiener Burgtheater tätig. Seine Werke werden von bedeutenden Regisseuren wie Andrea Breth und Martin Kusej inszeniert. 2005 wurde sein Libretto "Crushrooms" mit der Musik von Wolfgang Mitterer am Theater Basel uraufgeführt.
In seiner Freizeit ist Ostermaier ein begeisterter Fußballspieler. Er steht im Tor der Autorennationalmannschaft, in deren Kader auch Schriftsteller wie Moritz Rinke und Sönke Wortmann mitspielen. "Ich war von Kindesbeinen an ein Sepp Maier-Fan", gesteht Ostermaier. "Weil ich groß bin, war es naheliegend, dass ich Torhüter werde."