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Das Schlimmste, was engagierter Kulturarbeit zustoßen kann, ist eine Pensionierung. Wenn der Westdeutsche Rundfunk bisher den Eindruck erweckte, bei ihm sei die Sache der Neuen Musik in besten Händen, dann lag das wohl auch – und wie man jetzt unterstellen darf: in erster Linie – an den Persönlichkeiten, die für das zu Recht gerühmte Engagement des Senders für die Musica nova stehen, und wie man nun sagen muß: standen. Denn nach Detlef Gojowy scheidet auch Wolfgang Becker-Carsten als Leiter der Abteilung Neue Musik beim Westdeutschen Rundfunk aus. Tröstlich zu erfahren, daß er auch als Pensionär die noch von ihm initiierten Projekte betreuen wird.
Nun gehört es ja zum Sinn des Lebens, daß Ältere zurücktreten und jüngeren Köpfen ihren Platz einräumen. Nur soll es beim WDR diese jüngeren Köpfe künftig nicht mehr oder nicht mehr in dieser Funktion geben. Kurz: die schon im voraus vielbemunkelte Programmreform beim WDR weist der Neuen Musik einen anderen und vermutlich verminderten Rahmen zu. Wie das im einzelnen aussieht, wird man spätestens im April nächsten Jahres erfahren, wenn die Reform in Kraft tritt. Daß Becker-Carstens sich über alles zurückhaltend äußert, entspricht seiner noblen Loyalität einer Institution gegenüber, die ihm im vergangenen Vierteljahrhundert ungewöhnliche Möglichkeiten der Entfaltung bot. Welche Fülle aus dieser Arbeit erwachsen ist, läßt sich unserem Gespräch entnehmen.
Der Westdeutsche Rundfunk hat nach dem Krieg an der Geschichte und Zukunft der Musik entscheidend mitgeschrieben, und wie auch immer die künftige „Programm-Struktur“ (was für ein abscheuliches Wort) gestaltet sein mag, ein Rückfall hinter die gewonnenen Positionen könnte nicht ohne Protest bleiben. Bedenklich allerdings stimmt in diesem Zusammenhang, daß sich das Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester gerade mit Semjon Bychkov einen internationalen Dirigenten aus dem zweiten Glamour-Glied zum „Chef“ erkürte, für ziemlich viel Geld versteht sich. Da breiten sich Praktiken aus, die durch nichts mehr legitimiert sind. Wenn das für die Zukunft der Neuen Musik beim WDR steht, dann darf man beruhigt ängstlich sein. Den Verantwortlichen möchte man ein Wort des Schweizer Publizisten Urs Frauchiger in die Erinnerung bringen: Wenn hunderttausend Rundfunkhörer James Last hören möchten und ein einziger Schönberg, dann heißt die Lösung nicht hunderttausend Sendestunden für James Last und eine für Schönberg, sondern eine für James Last und eine für Schönberg. Das ist Demokratie.