Keine Welt-Performance der „7 Deaths of Maria Callas“ von und mit Marina Abramović. Da bleiben nun zwei Jubelstürme aus – der eine von der PR-Agentur Marina Abramovićs: über den praktisch ohne eigenen Arbeitsaufwand kostenlos und weltweit zugänglichen Auftritt ihres Stars auf der Bühne „eines der besten Opernhäuser der Welt“. Unser Kritiker Wolf-Dieter Peter empfindet keinen Verlust beim Wegfall so vieler Todesarten.
Am 11.April sollte auf „Staatsoper.tv“ live übertragen werden, was im Münchner Nationaltheater für 243 Euro abwärts auf der Bühne zu erleben gewesen wäre – wenn „Corona“ dem ganzen Projekt nicht die Hype-Krone entrissen und der angereisten Kultur-Schickeria den anderen Jubelschrei erstickt hätte: für die Auseinandersetzung der ungemein PR-bewussten, dennoch ungebrochen weltweit gefeierten Performerin Abramović mit der zum „Mythos“ gewordenen Ausnahmekünstlerin Maria Callas. Letztere ist zwar im Laufe ihrer kometenhaften Karriere viel mehr als sieben Bühnentode gestorben, hat Ehen, Krisen, die Jet-Set-Beziehung zu Aristotle Onassis samt Abtreibung des gemeinsamen Kindes überstanden und ist nur 53jährig trotz eines weltumspannenden Verehrer- und Freundes-Kreises 1977 vereinsamt in ihrem Pariser Apartment gestorben.
Schon in ihrem Buch von 2016 hat Abramović sich mit der Ausnahmesängerin befasst und dies bis zum Satz „Ich identifizierte mich sehr stark mit ihr“ vorangetrieben. Daraus ist ein Multimedia-Projekt erwachsen. Abramović wollte jeweils kurz die dramatische Situation erklären, ehe sieben Sängerinnen in Kostümen von Riccardo Tisei unter Leitung von Dirigent Yoel Gamzon je eine Arie aus Carmen, Tosca, Otello, Lucia di Lammermoor, Norma, Butterfly und La Traviata konzertant singen würden. Der serbische Komponist Marco Nikodijevic – bislang bekannt für Avantgarde-Klänge, in denen traditionelle Instrumente mit digitalen Elementen durch mathematische Verfahren verbunden werden - hat dazu musikalische Übergänge komponiert. In einem von Petter Skavlan und ihr selbst geschriebenen Drehbuch beabsichtigte Abramović in einem Film von Nabil Elderkin die verschiedenen Todesarten der sieben Opernheldinnen mit William Dafoe als männlichem Widerpart nachzuspielen: Erstechen, Todessprung, Erwürgen, Mord im Wahnsinn, Selbstverbrennung, Selbstmord, Todeskrankheit – und als Höhepunkt wollte Abramović dann in einer Live-Performance den Herztod der vereinsamten Diva Maria Callas anfügen und nachspielen.
All das war bislang als Welt-Tournee-Projekt geplant, sollte zwischen Londons Covent Garden und einem antiken griechischen Theater an vielen Orten zur Aufführung kommen. Doch schon die Münchner Uraufführung wurde durch die virale Limitierung allen öffentlichen Lebens zunehmend in Frage gestellt. Was gesamtgesellschaftlich fast ohne Streit möglich war, führte in der sich gerne im vermeintlich singulären Glanz sonnenden Bayerischen Staatsoper zu auch singulären Missklängen. Nach bis in die letzte März-Woche laufenden Abramović-Proben in „Klein-Gruppen“ sollte nun das Orchester hinzukommen – womit die Abstandsregelung nicht mehr einzuhalten war. Staatsintendant Nikolaus Bachler reagierte auf den wachsenden Unmut in den Kollektiven der Staatsoper allerdings nicht in angemessener „Hausvater“-Manier. In einem Zeitungsinterview zur Schließung des Hauses entglitt ihm der Satz „Alle selbst ernannten Blockwarte können sich also ab sofort anderen Thematiken widmen. Oder, noch besser: einfach mal schweigen.“ Dem inakzeptablen NS-Vergleich folgten scharfe Kritik von Künstlerkollegen, Landtagsabgeordneten und eine dementsprechende Aufforderung des Kultur-Staatsministers – woraufhin Bachler nicht um Entschuldigung bat, sondern „sich… entschuldigte“ – prompt auch nicht für seine intellektuell-verbale Entgleisung, sondern für die „scharfe Formulierung“ auch nur bei denen, die sich dadurch „verletzt gefühlt haben“; dann folgten Sätze zur Sorge, dass „die pandemische Krise nicht zu einer Krise unserer Institutionen, unseres Charakters und unserer Gesellschaft wird. Das bitte ich weiterhin zu bedenken und ernst zu nehmen“ – ob er damit speziell sich selbst gemeint hat?
Künstlerisch bleibt die Frage, ob das ganze Projekt nicht eher in ein Festival der Kunst-Experimente gehört – München hat schließlich eine Biennale für Neues Musiktheater. Doch was bislang im für viele furchterregend großen Operntempel zu elitär ausgrenzenden Preisen zu erleben gewesen wäre, kann nun auch nicht zwischen Grönland und Neuseeland – dort lediglich zum Stromtarif! - miterlebt werden. Der plötzliche Hauch von Kunst-Demokratie ist also verweht. Ist da in Zeiten so vieler realer Todesfälle eine Performance mit ein bisschen viel Namedropping und noch mehr Blut und Tod nicht auch eines – nämlich verzichtbar?