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Titelseite der nmz 2017/03.
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Keine Kulturpolitik ohne valide Daten

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Zum Spartenbericht Musik des Statistischen Bundesamts · Von Christian Höppner
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Die langjährigen Forderungen des Deutschen Kulturrates und des Deutschen Musikrates nach einer validen Bundeskulturstatistik trugen mit dazu bei, dass sich die Enquete Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Abschlussbericht 2007 ausführlich mit diesem Thema befasste. Dort heißt es unter anderem: „Statistische Daten zum kulturellen Leben in Deutschland stellen eine unverzichtbare Grundlage für kulturpolitische Entscheidungen dar.“

 Die Enquete konstatiert die Notwendigkeit nach validen Daten und sieht akuten Handlungsbedarf zur Verbesserung für den kulturstatistischen Bereich. Zudem stellt die Enquete fest, dass die Anforderungen an eine bundeseinheitliche Kulturstatistik die Bereitstellung personeller und materieller Ressourcen erfordere. In dem Koalitionsvertrag der laufenden 18. Legislaturperiode findet sich ebenfalls der Hinweis auf eine gesetzliche Kulturstatistik.

Das Statistische Bundesamt wurde mit dem „Aufbau einer bundeseinheitlichen Kulturstatistik“ von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) und der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) im Jahr 2014 beauftragt. Erstes Ergebnis dieses Auftrages ist der soeben veröffentlichte „Spartenbericht Musik“ (www.destatis.de). Der Bericht befasst sich mit dem öffentlichen finanzierten, dem privatwirtschaftlichen und dem intermediären Musiksektor und enthält Tabellen, Abbildungen sowie ein Literaturverzeichnis. In einem eigenen Kapitel befasst sich der Bericht mit Datenlücken und Empfehlungen zur Weiterentwicklung. In einer ersten Bewertung lassen sich keine neuen Erkenntnisse entdecken, aus denen sich Konsequenzen für politisches Handeln ableiten ließen. Die Verwertbarkeit für die Rahmensetzung des Musiklebens, dessen bildungskulturelle Infrastruktur im professionellen wie im Amateurbereich durch Schließungen und Kürzungen eine nachhaltige Beschädigung droht, geht gegen Null. Eben diese Verwertbarkeit, die qualitative Auswertung des Datenmaterials, das Aufzeigen von Zusammenhängen, gehört zu den Kernaufgaben einer Statistik, die der Spartenbericht nicht erfüllt.

Darüber hinaus enthält der Bericht offenkundig teilweise nicht aktuelle Daten. So spricht beispielsweise der Bericht von rund 60.000 Chören, während die European Choral Association in ihrem gerade veröffentlichten Report für Deutschland mit 116.500 Chören auf nahezu die doppelte Anzahl kommt. Datenmaterial für dringende Handlungsfelder, wie dem Fachkräftemangel und dem ausfallenden Musikunterricht, insbesondere den Grundschulen, fehlt gänzlich.

Für die langjährige Forderung des Deutschen Musikrates, der Landesmusikräte und der Fachverbände, Musik sowohl als eigenständiges Unterrichtsfach wie in der Vernetzung mit den anderen Haupt- und künstlerischen Schulfächern durchgängig und in der professionellen Vermittlung (wieder) zu etablieren, ist dieses Datenmaterial aber unerlässlich – und zwar im Interesse der Kinder und Jugendlichen, deren Bildungsbiographien zu oft von gravierenden Lücken in dem Erleben musikalischer Vielfalt geprägt sind. So ist die KMK einmal mehr aufgefordert, endlich umfängliche und vergleichbare Daten zur Situation der künstlerischen Schulfächer zur Verfügung zu stellen. Solange einige Landesministerien diese Daten nicht zur Verfügung stellen, wird sich an der unsäglichen Situation, dass der Musikunterricht in der Grundschule teilweise bis zu 80Prozent ausfällt beziehungsweise fachfremd erteilt wird, nichts ändern.Die im Bundestag vertretenen Parteien und die Bundesregierung der nächsten Legislaturperiode sind gefordert, gemeinsam mit der KMK zeitnah einen verbindlichen Beschluss zur Umsetzung einer qualitativ belastbaren Bundeskulturstatistik zu fassen.

Dem Statistischen Bundesamt sei empfohlen, zeitnah einen Spartenbericht Musik 2.0 aufzulegen, der die wesentlichen Datenlücken schließt und die Belastbarkeit und Verwertbarkeit der Daten verbessert, damit eine solide Basis für politische Entscheidungen gegeben ist. Dafür bietet sich die professionelle Zusammenarbeit mit dem Musikinformationszentrum, dem Kompetenzzentrum für Information und Dokumentation des Deutschen Musikrates (MIZ), an. Unter der Voraussetzung entsprechender personeller und finanzieller Ressourcen ließe sich im Rahmen einer konzeptionell grundierten Zusammenarbeit zwischen dem MIZ und dem Statistischen Bundesamt der heute schon vorhandene und weiter ausbaubare Mehrwert der Datenlage im MIZ, für einen aussagekräftigeren Spartenbericht Musik 2.0 verwerten. Die derzeitige Planung, sich jetzt schrittweise mit den weiteren Kulturbereichen zu befassen, dient niemandem. So begrüßenswert es ist, dass sich das Statis­tische Bundesamt im Rahmen des Gesamtauftrages zur Erstellung einer bundeseinheitlichen Kulturstatistik zuerst mit dem Musikbereich befasst hat, so notwendig ist es, als nächsten Schritt den Spartenbericht Musik 2.0 anzugehen, der dann als Blaupause für die anderen Kultursparten dienen könnte.

So ergibt sich in der Gesamtwahrnehmung dieses Spartenberichtes eher die Aneinanderreihung von nicht immer aktuellen Momentaufnahmen, die die notwendigen Modifizierungen in der Kulturfinanz- und Hochschulstatistik sowie die Ausdifferenzierungen im Mikrozensus vermissen lassen.

Die viertstärkste Industrienation der Welt sollte schon eine bundeseinheitliche Kulturstatistik zu Wege bringen, die Politik wie Zivilgesellschaft ein Fundament für die dringend notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen ermöglicht – und zwar nicht erst in drei Jahren.

Der Autor ist Generalsekretär des Deutschen Musikrates

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