Die Keimzelle greifbar zu machen, setzt zumindest gedanklich das gesamte Werk voraus, wenn auch die mühsame Umsetzung bis ins Detail entfällt. Den Kern – Nucleus – zu extrahieren, würde im besten Fall bedeuten, zuvor eine Idee sorgfältig zu Ende zu denken, und sie dann auf eine Quintessenz zu reduzieren. Was sich also die 13. Münchener Biennale im „Biennale Special“ als Rahmenprogramm ausgedacht hatte und vor den Hauptwerken präsentieren ließ, verdiente besondere Beachtung. Als „summa summarum“ in der kreativ-experimentellen Atmosphäre des Münchner Schwere Reiter aneinandergereiht, zeigte sich ein breites Spektrum an Ideen und Genres. Doch der große Wurf war nicht dabei.
Die Kernidee der acht Komponisten zu beurteilen, relativierte sich allerdings, fielen Ausführungen doch – von Kosten abhängig – deutlich unterschiedlich aus. Komponist Stefan Schulzki überzeugte mit „Lied II“ allerdings nicht nur durch den großartigen Stimmeinsatz von Beatrice Ottmann, die im Spiel mit Live-Elektronik klare Stimm- und Klangbilder für die menschlichen Kernaspekte überzeugend zu definieren verstand: Liebe, Tod, Sex, Verfall, Das Böse … in mir, Seele, Gott. In Kombinationen miteinander weckten die schließlich Worte inspirierende Denkanstöße: Mind-Mapping sprachmusikalischer Art.
Doch der szenische Gedanke blieb vernachlässigt, wie ihn etwa Eva Sindichakis mit der Tänzerin Ada Ramzews als abstrakte Bewegungsform im Dialog mit einer kreisrunden Filmprojektion integrierte. Die dargestellte Thematik von Verlust und Wiederfindung assoziiert mit Glücksspiel-Symbolen im Film lieferte im „FORT:DA“ allerdings kaum konkrete Hinweise zum Verständnis. Die Musik, auf drei absteigenden Tönen aufgebaut, hielt sich mit darüber auseinandergleitenden Bläser-Clustern konsequent an den rein prinzipiellen Ansatz.
Ähnlich wie Schulzki baute auch Minas Borboudakis sein „ἐδιζησ[Ά]μην ἐμε[Ω]υτόν“ aus sprachlichen Elementen mit Texten von Nora Gomringer und Heraklit auf, die Martina Koppelstetter mit Live-Elektronik als Klangszenario zu Wortprojektionen in Beziehung setzte. Borboudakis ging musikalisch – vor allem in der Elektronik – eher tastend vor, minimalistisch, den Charakter eines nach vielen Seiten weiter denkbaren Fragments wahrend.
Seine Doppelberufung als Komponist und Arzt brachte Nikolaus Brass in „memory“ in Einklang. Sein Nucleus setzte sich mit der menschlichen Selbstwahrnehmung auseinander. Die Collage aus der Körperlichkeit eines Butoh-Tänzers, vielfältig ausgeprägten stimmlichen Impulsen vom Bass Andreas Fischer und Geräuschen vom Aufstoßen der rustikalen Tore verborgener Kammern beschränkte sich auf Chiffren von engster Formulierung.
Kernsätze mit konkreten Szenenbildern und Handlungen erwiesen sich indes als problematisch. Manuela Kerer fühlte in „Wurzel“ ihrer Nucleus-Idee mit Humor auf den Zahn. Bettina Ulrich als Stimme, Lachende und Formerin der Obertöne einer elektrischen Zahnbürste spielte die Hauptrolle im absurd anmutenden Bild einer verspielten Nichtgeschichte. Alexander Strauch verwandelte indes eine Assoziationskette zu einer „M.eta-M.orph-O.P.-er“, die in der Naivität banaler Alltagsgedanken stecken blieb. Die Metamorphosen des Sopranduos drangen jedenfalls nicht zum Kern einer möglichen Aussage vor.
Zwei Installationen rahmten die Nucleus-Kette. Schon im Foyer inszenierte als Komponist und Performer Thomas Meadowcroft sein „Opera Abstract“, das sich als einziger Kernsatz auf die Weltzerstörung – „Unhaltbarkeit der Zukunft“ – bezog. Meadowcroft sinnierte im Dialog mit der per Hand manipulierten Revox-Tonbandmaschine zu sphärischen Klängen darüber, welche Botschaft wir ins Weltall senden sollen. Michael Emanuel Bauer wandte sich hingegen in „making of“ in die Vergangenheit. Als Appropriation Art war eine Collage der Künste und Medien entstanden, in der Martina Koppelstetter wie aus einem fernen Traum eine Tanzszene zur entstellten Combomusik mit Schuberts „Du holde Kunst“ kommentierte. Verstörend, dass der Schlusspunkt darin eher einer lärmenden Zerstörung des Musikbegriffs galt.