Carla Bley – da denkt man an Free Jazz oder die Jazz-Oper „Escalator over the Hill“, an das Jazz Composers Orchestra oder politisch aufgeladene Rocksounds. Jedenfalls nicht an Weihnachtslieder. Aber die Komponistin und Pianistin ist immer für eine Überraschung gut und veröffentlicht nun tatsächlich „Carla’s Christmas Carols“ in traditioneller Bläserquinett-Besetzung. Was beweist, dass ihr die FAZ den Ehrentitel „monströsestes Chamäleon, das der Jazz kennt“ zu Recht verliehen hat.
Da Carla Bleys Musik zudem seit mehreren Jahrzehnten regelmäßig auf den Programmen deutscher Festivals und Konzerthäuser steht, gibt es Gründe genug, der 71-Jährigen für ihr Lebenswerk die German Jazz Trophy zu verleihen.
Mit ihrer neuen Weihnachtsplatte, erschienen bei Watts (Universal), blickt die Musikerin weit zurück in die eigene Vergangenheit. Hatten sich doch ihre Eltern am Moody Bible Institute in Chicago kennen gelernt; Carla Bleys Kindheit war randvoll mit Musik und Religion, mit Klavier- und Orgelspiel sowie dem Singen im Kirchenchor.
Sentimentale Nostalgie braucht man bei einer Künstlerin ihres Schlages natürlich nicht zu befürchten. Carla Bley verfremdet die alten Weihnachtsgesänge auf mal groteske, dann wieder ironisierende Art und Weise. So klingt „Oh Tannenbaum“ anfangs noch ganz manierlich; wie man es vom Gemeindebläserchor kennt. Dann jedoch geraten die Harmonien ins Wanken und der Rhythmus fließt auseinander. Der Trompeter bringt eine neue Melodie auf, die in ein virtuoses Solo mündet; zum Abschluss schmettern die fünf Bläser einen Miniaturkanon.
Die Reise in die eigene Kindheit verknüpft Carla Bley mit allerlei jazzhistorischen Reminiszenzen. Den klassischen Bläserchoral garniert sie mit dem Wah-Wah einer Growl-Trompete. Das unendlich abgenudelte „Jingle Bells“ wird in einer swingenden Balkan-Brass-Version wieder erträglich. Dann wieder sorgt das Grummeln von Tuba und Posaune für einen Hauch New Orleans.
Wer das weihnachtliche Gefühlspathos satt hat, wird dankbar zu diesem Album greifen. Carla Bleys Glöckchen-Akzente wirken wie ein einvernehmliches Augenzwickern zum Hörer: „Weihnachten ist ja durchaus gemütlich. Aber man braucht es ja nicht so ernst und feierlich zu nehmen.“ Die technisch souveränen und stilsicheren Mitglieder des Partyka Brass Quintet sind über jeden Kitschverdacht ebenso erhaben wie Carla Bleys Lebensgefährte Steve Swallow am E-Bass.
Bei der Verleihung der German Jazz Trophy wird Carla Bley zusammen mit ihrer aktuellen Band „Lost Chords“ auftreten. Zur Besetzung zählen der Bassist Steve Swallow, der Saxophonist Andy Sheppard sowie Billy Drummond am Schlagzeug. Den Jazzpreis, eine Statue des Stuttgarter Bildhauers Otto Herbert Hajek, verleiht die Sparda-Bank Baden-Württemberg gemeinsam mit der Jazzzeitung und der Kulturgesellschaft Musik+Wort e.V.
Preisträgerkonzert:
Carla Bley mit ihrer aktuellen Band „Lost Chords“
Dienstag, 24. November 2009 • 20.00 Uhr
Gustav-Siegle-Haus, Stuttgart