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Die Kugel ist nicht nur für Mozart da. Foto: Rheingau Musik Festival
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Klang und Kulinarik: Wie Musikfestivals zum Rahmenprogramm für den Gourmet-Tourismus werden

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Laut erhob sich dieser Tage Kaisers Klage über die Sinn- und Form-Krise der hergebrachten Festspiele. Der greise Münchener Festredner und hochbelobigte Kritiker monierte erschreckende Anzeichen von Banalisierung der Geschäfts-Praktiken in Bayreuth oder Salzburg. Und nicht nur er verwies auf die Konzeptionslosigkeit der Festspiel-Betreiber.

Doch den Unkenrufen zum Trotz: Europaweit laufen die sommerlichen Turbo-Musikfestivals wie geschmiert. Und dies nicht etwa obwohl sie das bestenfalls Durchschnittliche als das Besondere deklarieren, sondern eben weil sie nichts als Gewohntes mehr bieten. Am äußersten Rand Österreichs ist die Kundschaft – derzeit noch unterm Schirm von Jürgen Flimm – ebenso vor ästhetischen Überraschungen sicher wie im Dunstkreis der grünhügeligen Wagner-Halbschwestern, die schlicht und ordinär auf neue Vermarktungsformen bereits gegessener Inhalte setzen. Und dies trotz der Abwanderungs-Tendenzen der feiner gestimmten Publikums-Segmente zu spezielleren Sommer-Events. An der grauen Salzach und am Roten Main profitieren die Veranstalter fortdauernd vom Nimbus, den die legendären Ahnherren bzw. die Großmütter schufen.

Die vorgegaukelte Feinschmeckerei, das Ordinäre der internationalisierten Musiktheaterküche findet hier wie dort im wohlgelaunten Ambiente der Sommerfrische statt. Gewiß: Der kulinarische Rahmen spielte beim Sommertheater in Oberfranken wie im Salzkammergut von den Anfängen an wesentlich mit – ein Besuch ohne Abschlußsitzung im „Goldenen Löwen“, der „Blauen Gans“ oder einem anderen tierisch angenehmen Lokale war eigentlich nie denkbar. Irritierend ist offensichtlich für Kulturkonservative nur, wiesehr Schmalhans bei den Hauptprogrammen Küchenmeister sein kann, ohne daß die Leute in Scharen weglaufen.

In Aix-en-Provence wurde 2009 auf neueres Musiktheater ganz verzichtet, überhaupt ein reduziertes Programm-Menü angeboten – und die Gastronomie auf den Plätzen und in den Gassen zwischen Archevêché und Grand Théâtre de Provence befindet sich bei höchstem Preisniveau auf historischem Tiefstand: Fast food scheint zum Abfüllen zu genügen. Zum Glück besteht die Menschheit überwiegend aus Gewohnheitstieren. Guten Appetit auch weiterhin!

In manchen ländlichen Gegenden, die ja längst flächendeckend von der Festivalitis erfaßt sind, ist die Sensibilität in Sachen der gastronomischen Umfelder von kulturellen Events gewachsen (und vielleicht gehört dieser Art der sommerlichen Bespielung von verödeten Kleinstädten, Burgen, Scheunen und Klöstern die Zukunft). Fast anrührend wirkt, wenn sich z.B. die Gottfried-Von-Einem-Tage zu Oberdürnbach im Grenzgebiet zwischen dem niederösterreichischen Wald- und Weinviertel zwischen einer „Kleinen Weinverkostung“ zur Eröffnung und dem „Geselligen Ausklang im Gasthof an der Bundesstraße“ bewegen.

Nebenan („Pulsierend – Im Herzen Europas“) bringt das Festival „Allegro Vivo“ zwischen Horn und Mold nicht nur bauliche „Barockjuwelen“ ins Spiel, sondern auch das „Dungl Bio-Vital Hotel“ in Gars mit seinem „Aktivierungsbecken“ und den edlen „Öhlknechtshof“ mit den im Preis eingeschlossenen Leihfahrrädern. Etwas südlicher wirbt der Carinthische Sommer in Villach nicht nur mit einer spezifischen Verbindung von „Traditionsvereinen“ und neuer Kirchenoper, Pontifikalamt und heimatverbunden-weltbewegender „Kärnfusion“, sondern auch mit der Balken-Überschrift „Kultur trifft Kulinarium“.

Da also geht’s lang, wenn ein Festival nicht mit wirklich großen Namen oder nur mit etwas angeschimmelter Prominenz aufwarten kann. „Musik wäscht den Staub des Alltags von der Seele“, versichert Ministerpräsident Kurt Beck zum Auftakt des Mosel-Festivals. Obwohl er vielleicht ahnt, daß ein kühler Weißer von den Hängen zwischen Kröv und Traben-Trarbach das sehr viel besser zu leisten vermag als Blechbläsermusik aus England. Ein Hoch auf die Weinkönigin!

Mein persönlicher Favorit ist auch heuer wieder das in Roland Kochs Hessen ausgerichtete Rheingau Musik Festival, das (originellerweise) mit Händel-, Haydn- und Mendelssohn-Kugeln im klassischen Salzburger Mozart-Outfit wirbt und fast nahtlos in die 23. „Glorreichen Rheingau Tage“ übergeht. Das Unternehmen heißt tatsächlich so und bedient wiederum den Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloß Johannisberg, die Hotels „Nassauer Hof“, „Kronenschlößchen“, den „Steinbergkeller“ etc. – mit Events wie „Klassisch – Kultig – Kulinarisch“.

Da kommt hörbar zusammen, was zusammengehört. Im „Historischen Riesenfaßkeller“ zu Hattenheim z.B. für 125 € pro Nase „Küche, Kunst und Wein“ – ein Vier-Gang-Gourmet-Dinner mit Beschallung: „Geschwister der Romantik – Fanny und Felix Mendelssohn“. Letzterer freilich versicherte seinem Fan-Club einst: „Ich bin des Wortes ‚Romantiker’ von Herzen überdrüssig“. Aber es gibt für ihn kein Entkommen mehr. Tags drauf feiert das benachbarte Weingut „Kaisers Geburtstag“ – und Küchenmeister Egbert Engelhardt hat da nicht unseren eingangs erwähnten Kollegen Joachim K. im künstlerisch-kulinarischen Visier, sondern einen früheren guten Kunden des Hauses: Wilhelm II. von Hohenzollern. Ein Prosit dieser neualtdeutschen Gemütlichkeit!

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