Auf die Suche nach Klangaffinitäten zwischen Musikkulturen machte sich das Symposium „Sound Affinities“, das vom 27.-29. Juni an der Hochschule für Musik Detmold in Kooperation mit der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar stattfand. Die Workshops und Panels, konzipiert von Prof. Eva-Maria von Adam-Schmidmeier und dem Weimarer Professor für Transcultural Music Studies, Tiago de Oliveira Pinto, beschäftigten sich mit transkultureller Musikforschung und ihrer musikpädagogischen Realisierung. Der Türkei-Schwerpunkts des Symposiums fand seinen Höhepunkt in der Konzertbegegnung zwischen dem Neyflöten-Spieler Kudsi Erguner und dem Saz-Virtuosen Erol Parlak.
Die Frage nach Relevanz und Umsetzung musikethnologischer Inhalte im Musikunterricht ist keine neue. Infolge der Arbeitsmigrationspolitik der Nachkriegsjahre ließen sich viele Spanier, Griechen, Türken, und Italiener in Deutschland nieder. Die dadurch stark ansteigenden ausländischen Schülerzahlen waren in den siebziger Jahren Ausgangspunkt einer intensiven (musik)pädagogischen Diskussion. Die Anfänge der interkulturellen Musikpädagogik dieser Jahre zielten auf eine einseitige Assimilation der ausländischen Schüler. Erst die zweite Phase der interkulturellen Musikerziehung richtete sich gleichermaßen an deutsche und ausländische Kinder und forderte das fundierte Kennenlernen der jeweiligen Heimatkulturen. Der Musikunterricht sollte dabei auch im Sinne einer politischen Erziehung wechselseitige Toleranz und Verständnis fördern. Begrifflich geht die interkulturelle Musikerziehung von der gleichberechtigten Existenz unterschiedlicher Kulturen aus, eröffnet jedoch einen neuen Dualismus, indem es auf die Kategorien des „Eigenen“ und „Fremden“ zurückgreift. Die transkulturelle Musikpädagogik überwindet dies, indem sie das Fremdheitsattribut der Musik negiert: in einer Zeit, in der sich die Musiken aller Welt medial präsentieren und global rezipieren lassen, in der es zu sozio-kulturellen Transfer- und Verschmelzungsprozessen kommt, ist diese Grenzziehung obsolet. Anstatt die Andersartigkeit von Kulturen zu betonen, sucht die transkulturelle Musikpädagogik nach gemeinsamen Berührungspunkten, „Affinitäten“, die einen Zugang zu neuen Musikformen erleichtern, ohne kulturelle Differenzen zu übergehen. Die Frage nach einer global- und interdisziplinär denkenden Musikforschung stellt sich angesichts der Komplexität aktueller musikalischer Phänomene umso dringlicher.
Prof. Dr. Christoph Stölzl, Präsident der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar, nahm in seinem Festvortrag eine kulturpolitische Betrachtung der „Affinitäten“ vor und betonte das enorme Potential einer transkulturellen Musikerziehung. Dieser widmete sich das Symposium in drei verschiedenen Panels. Im Panel zum Thema „Musikkulturen und pädagogische Umsetzung“ stellte Professor Christoph Khittl mit der vergleichenden Toposdidaktik und der ästhetischen Bildung didaktische Modelle einer transkulturellen Musikdidaktik vor. Prof. Dr. Wolfgang Martin Stroh warf die Frage auf, ob kulturerschließender Musikunterricht nicht vielmehr die eigene Klassenzimmer-Kultur erlebbar mache, als die zu erschließende Kultur und bot mit seinem „erweiterten Schnittstellenansatz“ zugleich methodische Perspektiven. Das zweite Panel beschäftigte sich mit dem Themenschwerpunkt türkische Musik. Dabei wurden spannende Einblicke in die türkische Musikszene in Deutschland, das Educationprojekt türkischer Musik der Komischen Oper und die von Dr. Martin Greve geleitete Konzertreihe „alla turca“ der Berliner Philharmonie gegeben. Nefzat Çiftçi präsentierte die türkische Langhalslaute Bağlama, dessen virtuose Spielweisen im anschließenden Konzert bestaunt werden konnte: Erol Parlak brachte auf Saz und Bağlama die Epenmusik der Dichtersänger Anatolien zum Klingen. Der Neyflötenspieler Kudsi Erguner widmete seine musikalischen „Anrufungen“ dem Jahrhunderte alten Repertoire der tanzenden Derwische.
Ein von Studierenden der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar angebotenes Studentenforum diskutierte spezifische musikpädagogische Fragestellungen der Vermittlung von Musik anderer Kulturen. Im dritten Panel nahm Prof. Tiago de Oliveira Pinto die aktuelle Debatte um das immaterielle Kulturerbe der UNESCO zum Anlass, die musikdidaktische Kanondiskussion neu anzustoßen. Die abschließende Diskussion zeigte, dass es gleichermaßen der Mithilfe von universitärer Lehrerausbildung, Schulbuchverlagen und überzeugten Lehrern bedarf, um die transkulturelle Musikpädagogik an Schulen stärker zu verankern. Ein Schritt in die richtige Richtung ist bereits in Planung: die Musikhochschulen in Weimar und Detmold werden in Kürze ein gemeinsames Positionspapier zur transkulturellen Musikpädagogik herausgeben.