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Titelseite der nmz 2023/05
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Kleine Nachtmusik

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Mathis Ubben über Klassikwelt zwischen Hadern und Zufallsglück
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Das Szenario: Eine Gruppe Jugendlicher geht im Anschluss an eine nächtliche Tour noch gemeinsam Spiegeleiessen. Der Fernseher läuft. Die Eltern des nächtlichen Gastgebers empfangen nur Öffentlich-Rechtliche: Voller Faszination bleibt die Gruppe – immun gegen John Wayne, Audrey Hepburn und die Nachrichten – an einem Beitrag über klassische Musik hängen. Sie sind noch nie bewusst mit dieser Welt in Verbindung geraten und leben ihr Leben von nun an als seltene Vertreter des U50-Klassikpublikums.

Vielleicht ist das der Hintergedanke, warum die Öffentlich-Rechtlichen den Großteil ihrer Produktionen mit Klassikbezug zwischen 0.00 und 6.00 Uhr morgens ausstrahlen. Wahrscheinlich ist das aber nicht, denn die sind – wie die allermeisten Konzertprogramme – eher für bereits kundiges Publikum konzipiert. Warum auch nicht? Schließlich gaben in der jüngsten Berufsmusik-Studie des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) 52 Prozent der befragten Musiker*innen an, auch oder nur mit klassischer Musik ihr Geld zu verdienen. Zum Vergleich: 57 Prozent der Befragten bedienten manchmal oder immer den populären Bereich. Fragt man aber junge Erwachsene, ob sie ins Klassik-Konzert gehen, sagen sie, dass sie einfach nicht damit in Kontakt kämen. Ein Marketingproblem?

Tausende Musiker*innen zieht es zum Studieren oder Arbeiten aus dem Ausland nach „Klassik-Deutschland“; bei Listen bekannter deutscher Persönlichkeiten ist immer vorne dabei: Ludwig van Beethoven; und wenn man nicht aufpasst, heißt es auch bei Mozart, Mahler, Schubert, Schönberg schnell mal „Made in Germany“. Geht es aber darum, dieses Kulturgut nicht nur als musealen Schmuck des „Bestbürgertums“ und internationales Deutschland-Image zu erhalten, verblasst die Begeisterung. In der Schule ist die Musik in ständiger Legitimationsnot und nur auf der Ausfall-Liste ganz oben. Öffentlich geförderte Ensembles und Konzerthäuser hadern mit ehrlichen Versuchen sich zu öffnen, um nicht auch noch das angestammte Publikum zu verlieren. Und wenn sich die Öffentlich-Rechtlichen aus der Nacht herauswagen, polieren sie das Bild der edlen aber unwichtigen und per se hochschwelligen Klassikwelt. Kommt dann doch neues Publikum zur „Klassik“, ist es meist begeistert. Nur ohne entsprechende Sichtbarkeit passiert das kaum und sie bleibt: eine kleine Nachtmusik.

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