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Komik im Wartesaal des Todes: „Tristan und Isolde“, ein Stimmenfest bei den Bayreuther Festspielen

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Wenn es nicht gerade um das Buch der Rekorde geht, wie bei Gustav Kuhns kompletter „Ring“-Aufführung an einem Tag, so sind Wagner-Doppelvorstellungen für Solisten ungewöhnlich. Jukka Rasilainen, der am späten Vormittag einen brillanten Hans Sachs bei „Wagner für Kinder“ gesungen hatte, stand am Nachmittag als ein hinreißend profilierter Kurwenal erneut auf der Bühne, wie dann – im zweiten und dritten Aufzug – auch seine „Meistersinger“-Kollegen Ralf Lukas (Melot) und Martin Snell (Steuermann). „Tristan und Isolde“, ein bejubeltes Stimmenfest unter der musikalischen Leitung von Peter Schneider, wurde in erster Linie getragen und erfüllt von Robert Dean Smith und Irene Théorin in den Titelpartien.

Nach Wieland Wagners Tod stand in Bayreuth noch für eine Reihe von Jahren dessen „Parsifal“-Inszenierung auf dem Programm, als Paradoxon einer museal retardierenden, ursprünglich provokanten Neudeutung. Ähnliche Eindrücke stellen sich angesichts Christoph Marthalers postmoderner Sicht auf Wagners „Tristan und Isolde“ ein: entgegen dem Gedanken der Bayreuther Werkstatt, der ständigen Weiterarbeit und Veränderung einer Inszenierung im Lichte der Gegenwart und ihrer Erkenntnisse, blieb die wiederholt erneut aufgenommene Produktion unverändert. Und dies, obgleich der Regisseur keineswegs verstorben ist – aber offenbar sehr schnell die Lust an seiner Arbeit verloren hat. Anna-Sophie Mahler, für die „szenische Leitung der Wiederaufnahme“ verantwortlich, geht hierbei behutsamer vor als der im Sinne Wieland Wagners doch stets geringfügig modifizierende Sachwalter Hans Peter Lehmann. In Marthalers „Tristan“-Inszenierung hat die Ausstatterin Anna Viebrock dem Naturstück, das im Original ausschließlich unter freiem Himmel spielt, die Natur gründlich ausgetrieben und durch Lichtspiele in immer tiefer gelagerten Warteräumen ersetzt. Belebungsimpulse erlangte diese Inszenierung mit den Jahren durch veränderte Sänger-Besetzungen. Im unsinnlichen Rahmen des von Braun bis Kellerschimmel getönten Gevierts achtet das Publikum zusehends stärker auf die Details der Personenführung, die mehr als einmal auch Komik in den Wartesaal des Todes transportieren. So gab es bei der diesjährigen Festspiel-Premiere im Publikum durchaus Lacher, ausgelöst etwa durch Isoldes fragende Geste, wo denn nun die Wirkung des Todestrankes bleibe, oder durch ihren pferdeartigen Luftsprung bei Brangänes Hinweis auf die Jagdhörner. Slapstick auch in der Liebesumarmung des Paares, das, an die Wand gedrückt, unwillkürlich auf den Lichtschalter drückt, so dass das Deckenlicht in Markes Saal kurzzeitig wieder aufleuchtet. Die anhaltende Faszination für diese unterkühlte Sicht auf Wagners Handlung in drei Aufzügen ist in erster Linie Iréne Theorin zu danken. Ihr spannendes Charakterbild der irischen Königin inkludiert durchaus reizvoll die komischen Momente dieser Inszenierung. Vom Stühle werfenden, voluminösen Aufbegehren im ersten Aufzug, über diverse skurrile Liebesverrücktheiten im zweiten und eine auf ausschließlich auf den erlebten Partner in sich selbst bezogenen Entrückung im dritten, vermag Iréne Theorin ihr Publikum mit großen Bögen und gefüllten Piani gesanglich und darstellerisch zu verzaubern. An ihrer Seite hat auch Robert Dean Smith viel von der ursprünglich seitens des Regisseurs intendierten Starre verloren. Er gestaltet den Tristan musikalisch ohne Abstriche, souverän und sicher. Mit zarten Piani besingt er im zweiten Aufzug die Erinnerung an „keusche Nacht“, und im dritten verfügt er über genügend stimmliche Reserven, bietet Kraft und Metall für Tristans exzentrische Flüche, gemixt mit Schwelltönen und innigen Erinnerungs-Piani. Umbesetzt für diesen Sommer ist die Partie des König Marke; betont gewaltvoll in der Dynamik, aber geschmeidig in der Stimmführung gestaltet ihn Kwangchul Youn. Michelle Breedt als kurzsichtige Brangäne bemüht sich mit heller dramatischer Stimme um diverse Charakterisierungen, von der Imitation bis zur Stabreim-Betonung, hatte aber keinen ganz so guten Abend; nachdem ihr im ersten Aufzug in ein falscher Anschluss zu schaffen machte, kam sie in der ersten Szene des zweiten Aufzugs erneut ins Schlingern. Lyrisch, mit dramatischem Kern, stattet Arnold Bezuyen die Partie des Hirten aus, der in Marthalers Inszenierung keine Herde hütet, sondern über unerklärliche Energie-Indikationen der im Keller gelagerten Neonröhren wacht. Die heldisch gewachsene Stimme von Clemens Bieber tönt als junger Seemann nicht von oben, sondern – schiffstechnisch gesprochen – aus dem Unterdeck. Bei den Monologen des Tristan im dritten Aufzug wäre seitens des Dirigenten mehr Begleitfunktion wünschenswert. Das unter Peter Schneider in Bestform musizierende Orchester der Bayreuther Festspiele trägt entscheidend bei zum musikalisch runden Erlebnis. Das Premierenpublikum dankte dafür mit heftigen Ovationen. Nächste Aufführungen: 1., 7., 14., 20. und 26. August 2012.

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