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Kathy Kelsh und das Orchester der Lüneburger Musikschule. Foto: Andreas Tamme
Kathy Kelsh und das Orchester der Lüneburger Musikschule. Foto: Andreas Tamme
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Komponierte Klangarbeit: Das Jugendorchester der Musikschule Lüneburg erarbeitet Dieter Macks „Karya V“

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„Karya“ ist balinesisch und heißt „zusammen arbeiten“. Im Orchester stellt das Zusammenspiel besonders bei sensiblen Klangstücken eine Herausforderung dar. Der Komponist Dieter Mack schrieb ein gleichnamiges Stück für das Jugendorchester der Musikschule Lüneburg. „Karya V“ entstand im Auftrag von Musik 21 Niedersachsen und ist Teil einer pädagogisch ausgerichteten Stück-Serie. Uraufgeführt wird das Werk beim Musik 21 Festival „√Musik = Energie²", das vom 8. bis 11. November in Hildesheim stattfindet.

Es regnet sich herbstlich ein in der Lüneburger Heide. Der Himmel ist wolkenverhangen und grau. Im Altbausaal der Lüneburger Musikschule leuchten über hundert grelle Glühlampen von der Decke. Sie spiegeln sich in den großflächigen Fenstern in die anbrechende Dunkelheit hinein. Es ist Freitagabend, 18 Uhr. Seit einer Stunde probt das Streichorchester der städtischen Musikschule, „strings!“, an „Karya V“, einem Stück für Streichorchester, Holzbläser und vier Pauken von Dieter Mack, Professor für Komposition an der Musikhochschule Lübeck. Seit Mai arbeiten die Jugendlichen daran. Heute ist Streicherprobe in Anwesenheit des Komponisten.

Ein hoher, schwebender Unisono-Ton durchdringt die Gehörgänge. Er führt in eine melodische Linie, die sich sehr bald wieder in einem langen Schwirren auflöst. Auf die „Vier“ kommen die Celli mit einer Triole. Der Einsatz muss exakt sein. Geduldig wiederholt Orchesterleiterin Kathi Kelsh die Takte ein um das andere Mal mit den jugendlichen Musikern. „Das ist echt schwierig!“, sagt sie und dreht sich lachend zum Komponisten um. „Experimentieren“ heißt das Gemeinschaftskonzert am 11. November, bei dem die Ergebnisse ganz unterschiedlicher Kompositions- und Klangforschungsworkshops für Jugendliche mit der Uraufführung von „Karya V“ zusammengebracht werden. Bei Dieter Macks Komposition geht es nicht um experimentelle Klangerzeugung. Das Stück ist ausnotiert. Alles muss exakt gespielt werden. Abweichende Einsätze oder ein ungenau gespielter Rhythmus fallen auf. Eine Geige, die das hohe „f“ nicht ganz getroffen hat, ebenfalls. Wer die eigene Stimme beherrscht, kann sich von ihr lösen und im Klang aufgehen. Erst dann ist es möglich, in ein „kollektives Spielen“, wie Dieter Mack es aus seiner langjährigen Gamelan-Spielpraxis-Erfahrung kennt, überzugehen. „Schwierig sind nicht die Noten, sondern das Zusammenspiel“, meint auch die Cello-Stimmführerin Lisa von Mansberg, 16 Jahre alt, die seit vier Jahren bei den „strings!“ spielt.

„Karya V“ besteht aus vier Gruppen und setzt sich so aus unterschiedlichen Klangblöcken zusammen. Lukas Theidel, 17 Jahre alt, ist ganz relaxt : „Als Geiger habe ich eine dankbare Aufgabe. Die schwierigen Stimmen sind in den Bässen.“ Während die Geigen meist in flächigen, hohen Tönen über dem Rest schweben, sind die Bratschen und Celli die rhythmischen Elemente: Ihre kurzen Einwürfe und rhythmisierten Melodiekettenbruchteile sind zumindest in dieser Probe sehr prägnant. Wie das Stück in der vollständigen Besetzung klingen wird, lässt sich nur erahnen. Pauker und Holzbläser werden als zwei weitere Instrumentengruppen dazustoßen.

Hier ist kein Auswahlorchester bei der Probe, sondern ein ganz normales Musikschulorchester. Die Schüler sind zwischen 13 und 18 Jahren. Sie müssen hart arbeiten an dem, was Dieter Mack ihnen auf den Leib geschrieben hat. Die Proben für die Uraufführung müssen sie neben dem ganz normalen Alltag bewältigen. Und der heißt für einige: Klausuren, Klassenfahrten, Konfirmandenunterricht. Zum Glück nahen die Herbstferien, sodass die eine oder andere Sonderprobe eingelegt werden kann.

Lothar Nierenz, stellvertretender Direktor der Musikschule, ist sehr glücklich über die Kooperation mit Musik 21 Niedersachsen und Dieter Mack: „Das ist eine wahnsinnige Chance, die Schüler mit der Musik von heute bekannt zu machen.“ Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Lüneburger Musikschüler mit neuen Klängen in Berührung kommen. In den letzten Jahren ermöglichte Orchesterleiterin Kathi Kelsh dem Jugendorchester zahlreiche interdisziplinäre Projekte mit Tanz-, Theater- und Filmaufführungen. 2009 gab das Nomos Quartett einen Streicherworkshop. Und auch „Karya IV“, ein auf Improvisation basierendes Stück, erarbeitete Dieter Mack vor eineinhalb Jahren mit den Lüneburger „strings!“.

Den zweiten Teil des Abends proben die Streichergruppen getrennt. Dieter Mack kümmert sich um die tiefen Streicher. Wie bei Proben mit professionellen Musikern lässt er auch hier die rhythmisch schwierigen Passagen nachsprechen. Und das Bratschen-Cluster muss geübt werden, bis man das einzelne Instrument nicht mehr heraushört. Es soll klingen wie ein Bienenschwarm. Dieter Mack scheint mit den jungen Musikern zufrieden zu sein. Nur einmal, da greift er selbst in die Partitur ein, aus dem pizzicato macht er kurzerhand ein arco: „Wisst ihr was, wir ändern das. Ich bin ja der Komponist. Ich darf das.“

Am 11. November um 11 Uhr wird die Uraufführung von „Karya V“ im Leester-Saal der Musikschule Hildesheim zu hören sein. Eine weitere Aufführung wird es am 19. November um 18 Uhr in der Musikschule Lüneburg geben.

 

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