Nach der Uraufführung von Walter Braunfels’ Großer Messe mit dem Gürzenich-Orchester in Köln, im März 1927, unter der musikalischen Leitung von Hermann Abendroth, gastierte diese Einstudierung in mehreren Großstädten, darunter auch in Berlin. Erst im April 2010 gab es die erste Wiederaufführung von Opus 37 in Stuttgart. Der Interpretation von Manfred Honeck folgte nun, als zweite seit der Uraufführungsserie, die Berliner Einstudierung von Jörg-Peter Weigle.
Nachdem Walter Braunfels unter den Eindrücken des Ersten Weltkrieges zum Katholizismus konvertiert war, komponierte er ein „Te Deum“ und eine Große Messe für gemischten Chor, Soloquartett, Knabenchor, Orgel und großes Orchester. Neben den obligaten Teilen ist in die Abfolge der katholischen Messe ein Offertorium „In festi Sanctissimi Nominis Jesu“ und vor dem Benedictus ein Interludium integriert. Das Interludium „Sub congregatione“, also während der Wandlung, sowie der Einsatz der Orgel lassen an eine dem Komponisten vorschwebende liturgische Aufführung denken, aber die Dauer der Komposition (neunzig Minuten) sprengt ebenso den kirchlichen Rahmen, wie die Komplexität des Orchestersatzes.
Der Schwierigkeitsgrad der Partitur, mit ständigen Taktwechseln, darunter auch 5/8- und 7/8-Takte, mit Nonolen, Dezimolen und Quatturdezimolen, ist enorm, die harmonische Ausweitung extrem. Dem stehen Eigenarten der Instrumentation kaum nach. Im Credo kommen Glocken zum Einsatz, aber das Bekenntnis zur katholischen Kirche, welches etwa Franz Schubert im Credo seiner Messen unvertont gelassen hat, klingt dumpf, geradezu gefährlich und ist kontrarhythmisch in der Textbehandlung, also keineswegs dogmatisch. Im Gloria antizipieren geballte Tonrepetitionen Klangwirkungen, wie sie dem Hörer aus Orffs „Carmina Burana“ vertraut sind.
Der bewegten Punktierung des Sanctus mit einem gleichzeitigen „Hosianna“ des Soloquartetts und „Hosanna“ des Chores, folgt – als der faszinierendste Teil der Komposition – das Zwischenspiel, zunächst allein für Orgel. Unmerklich treten akkordische Holzbläser hinzu, dann ebenso behutsam die Violinen, die nahtlos in das extrem breit ausschwingende Benedictus überleiten. Das klingt in sechs A-cappella-Takten, „mit größter Ruhe“, aus, wobei sich auf dem letzten Schlag das Kontrafagott einfügt. Im jubilierenden Agnus Dei gemahnt eine Sopranfigur an Palestrinas „Missa Papae Marcelli“, oder besser an Pfitzners freies Zitieren von Elementen dieser Messe im ersten Akt der musikalischen Legende „Palestrina“.
Kurz vor dem A-cappella-Ende in H-Dur wird dem Hörer deutlich, wie inspiriert die Komposition ist, aber auch, dass Walter Braunfels es nicht verleugnen kann, in erster Linie ein wirkungsstarker Bühnenkomponist zu sein. Und der Weg zu seinem späten Bühnenwerk „Jeanne d’Arc –Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ (1938-43) ist nicht allzu weit.
Jörg-Peter Weigle hat die Partitur mit großem Klangsinn einstudiert und macht rhythmische Verwandtschaften zu Igor Strawinsky ebenso deutlich, wie klangliche Affinitäten zu Gustav Mahler. Makellos und sauber mischen sich die Stimmen von Weigles Philharmonischem Chor Berlin mit der Berliner Singakademie (Einstudierung: Achim Zimmermann), im Spannungsfeld von extremer Demut bis exzessivem Jubel. Kindliche Bekenntnis-Momente integrieren die Knabenstimmen des Staats- und Domchores (Einstudierung: Frank Markowitsch). Facettenreich durchsichtig bleibt die häufig stark kontrapunktische Arbeit in den Formation des trefflich intonierenden Konzerthausorchesters, wobei die Solo-Flöte dem Hörer ebenso nachhaltig im Gedächtnis bleibt, wie die Orgel (Heiko Holtmeier). Im Solistenquartett brillierte die Sopranistin Simone Schneider, trotz Vokalverfärbungen, mit runder, warmer Tonentfaltung, neben dem sehr präzise, aber zurückhaltend gestaltenden Bassisten Robert Holl, der kernigen Altistin Gerhild Romberger, und dem mühelosen Tenor Christian Elsner.
Das Publikum feierte in der am „Tag der Arbeit“ nicht ganz ausverkauften Philharmonie die erstklassige Aufführung mit emphatischem Beifall.