Hauptbild
Das kolumbianische Jugendorchester mit Claudio Bohórquez als Solisten.  Foto: Ansgar Klostermann
Das kolumbianische Jugendorchester mit Claudio Bohórquez als Solisten. Foto: Ansgar Klostermann
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Kreative Jugend aus aller Welt

Untertitel
Ein Porträtbericht aus dem Rheingau
Publikationsdatum
Body

Der Blick von Parkett und Kirchenstühlen auf die Bühne zeigte diesmal im Rheingau zahlreiche, exzellent musizierende Jugendliche. Andererseits bot sich den jungen Künstlern auch ein umgekehrtes Bild: Silberreif und Gehhilfen in Überzahl. Wie passt das zusammen?

Michael Herrmann, Gründer und künstlerischer Leiter des Rheingau Musikfestivals, hat sich stets um den Nachwuchs verdient gemacht. Besonders viele Jugendliche aber, im Programm lässig als „Next Generation“ beworben, brachten in diesem Sommer Schlösser, Klöster und Freilichtbühnen im Rheingau zum Klingen. Die U-26-Bilanz mit vielen ausverkauften Konzerten und erstklassigen Debüts kann sich in jeder Hinsicht sehen lassen. Herausragend wird die zum ersten Mal teilnehmende, kolumbianische „Filarmónica Joven de Colombia“ in Erinnerung bleiben, die einen Teil ihrer ersten Europa-Tournee im Rheingau verbrachte.

Unter der temperamentvollen Leitung von hr-Chefdirigent Andrés Orozco-Estrada machten die Südamerikaner vielbeachtete Station beim RMF. Als gelungen gilt auch das Konzertdebüt der erst 14-bis 19-jährigen Musici des Bundesjugendorchesters, die trotz extremen Nachhalls die schlichten Wände der Zisterzienserbasilika im Kloster Eberbach zum Vibrieren brachten. Einen tänzerischen Auftakt erlebten die Zuschauer bereits am 27. Juni im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters. Das Bundesjugendballett unter der Leitung von Kevin Haigen wandelte auf den zauberhaft-poetischen Spuren von Antoine de Saint-Exupérys Geschichte des „Kleinen Prinzen“. Pädagogisch besonders wertvoll: Haigen ließ die berühmte Hauptfigur, die „mit dem Herzen sehen kann“ von Julius Winkelsträter tanzen, einem Jungen, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Zu den sphärischen Klängen von Edward Elgar, Maurice Ravel und Leoš Janácek, intoniert von jungen Musikern aus aller Welt, die aktuell an der Lucerne Festival Academy und dem Podium Festival Esslingen teilnehmen, zeigte das Bundesjugendballett einen emphatischen Tanzabend. Erkennbar betroffen machten vor allem die behutsamen Choreografien von John Neumeier, der als Intendant des Bundesjugendballetts verantwortlich zeichnet.

Drei Tage später brachte das kolumbianische Jugendorchester unter Andrés Orozco-Estrada das Wiesbadener Kurhaus mit einer rasanten Orchester-Choreografie zum Köcheln. Die jungen Músicos unter Leitung von Sasha Waltz sowie Tänzer Galindez Cruz begeisterten mit Igor Strawinskys einstigem Skandalwerk „Le sacre du printemps“. Der im kolumbianischen Medellín geborene Orozco-Estrada, von Tänzer Cruz auch „Maestro Andrés“ genannt, war Initiator dieser ungewöhnlichen Idee. Der hr-Chef, bekannt und berüchtigt als extrovertierter Tänzer am Pult, ließ Cruz zwei verschiedene Rituale in seine Kreation einbauen: heidnische Tänze aus dem alten Russland und die kolumbianische Königs-Sage von „El Dorado“. Dazu kam noch der Gedanke, dass in der klassischen Konzertaufstellung der Dirigent, in diesem Fall ­„Maestro Andrés“ selbst, König und Opfer zugleich darstellen sollte. Das Egebnis war eine ausgeklügelte Bild-, Licht-, und Videoinstallation, in deren Glanz die Kolumbianer mit ihren Instrumenten einen zeremoniellen Marsch vollführten und sich mit Schlagwerksticks, Tüchern und gereckten Bögen engagierten. Das gefiel nicht jedem, die Frankfurter Rundschau monierte eine gelegentliche „Überreizung“ und „Überfülle“, bei zugegebenermaßen stets spürbarem großen Engagement aller Beteiligten. Alle Musicós, im Alter zwischen 16 und 26 Jahren, hatten zuvor Jimmy López’ „América Salvaje“ intoniert und mit keinem geringeren als Claudio Bohórquez am Cello Tschai­kowskis Rokoko-Variationen in A-Dur kredenzt. Dass sie auch spontan auf Zuruf unterschiedliche Werke aufs Pult zaubern können, bewiesen sie beim Sommerfest tags darauf im Cuvéehof von Schloss Johannisberg.

Die Jüngsten der „Next Generation“ folgten Mitte August im Kloster Eberbach ihren präzisen musikalischen Impulsen. Das debütierende Bundesjugendorchester beeindruckte gemeinsam mit Sängern der Internationalen Opernakademie Schloss Weikersheim mit Auszügen aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Mussorgskis „Nacht auf dem Kahlen Berge“ und mit Filmmusiken aus „Batman forever“ und „Superman“ (als Zugabe). Das 1969 gegründete BJO, bereits von Größen wie Simon Rattle und Kirill Petrenko dirigiert, zeigte unter der wachen Leitung des neuen Wiesbadener GMD Patrick Lange professionelle Klangkultur.

Sehr gut besprochen auch die Konzerte der Cuban Youth Academy, bereits das dritte Mal beim Festival vertreten. Schauspielerin Johanna Wokalek hatte mit ihrer Kuba-Lesereise im Verein mit dem kubanischen Quintett Caribe Nostrum für Furore gesorgt. Der Leiterin von Caribe Nostrum, Jenny Peña Campo Field, galt dort ein intensives filmisches Kurzporträt. Die junge Komponistin stand mit ihrer RMF-Auftragskomposition „Suite Cubana“ im Zentrum des Konzertabends, die als apotheotischer Tanz elektrisierte. Frenetisch gefeiert wurden bereits vorher im Wiesbadener Kurhaus die in kubanisch-deutschen Meisterkursen engagierten Instrumentalisten. Sowohl mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 3, – am Flügel die 25-jährige Sophie Pacini – , als auch mit Beethovens „Prometheus“-Ouvertüre setzte die Youth-Academie Maßstäbe.

Eines wird klar beim Rückblick: Wenn auch zumeist ältere Augen begeistert auf der musikalischen Meis­terjugend ruhen, kann der demographische Gegensatz doch Chancen bergen: Denn die nächste und übernächs­te Generation braucht Bewunderer, die über genügend Muße, Klassik-Informiertheit und pekuniären Wohlstand verfügen. Wer könnte all das besser in sich vereinen als die Ü-Fifties?

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!