Das große Theater findet derzeit nicht im Theater, sondern in den himmelwärts strebenden Wolkenkratzern der Banken und Versicherungen statt. In den richtigen Theatern herrscht vorerst gespannte Ruhe. Vorsichtig lauernd führen Intendanten diskrete Gespräche mit Kulturdezernenten und Stadtkämmerern. Sind die Subventionen (noch) sicher? Jeder weiß, dass das finanzielle Heil einer Gemeinde vor allem von der Höhe der einkommenden Gewerbesteuer abhängt. Wenn in der Bankenstadt Frankfurt am Main die Millionen- und Milliardenverluste der Geldhäuser dazu führen, dass diese keinen Gewinn mehr erwirtschaften, dann braucht auch keine Gewerbesteuer gezahlt zu werden. In Frankfurt gibt man sich nach außen hin vorerst optimistisch. Mehrere Museumsneubauten oder -umbauten werden planmäßig fortgeführt, die Städtischen Bühnen erhalten kleine Aufstockungen der Etats, das Opernorchester soll wieder in die höchste Tarifklasse aufrücken. Also: Keine Panik?
Gleichwohl kann es nicht schädlich sein, wenn man sich über die Zukunft einige Gedanken macht. Der Blick nach Amerika hilft nicht viel weiter. Dass mit dem Finanzdesaster auch der Kunstmarkt in Bedrängnis geraten ist, liegt auf der Hand. Der Kultur-und Musikbetrieb in Amerika wird in hohem Maße von Sponsoren, Mäzenen und Stiftungen getragen. Auch in Europa wird sich zeigen, und an einigen Stellen hat es sich schon gezeigt, dass von Sponsorengeldern stark abhängige Institutionen mit Kürzungen der Gelder rechnen müssen, wenn nicht sogar, bei Andauern der Finanzkrise, mit dem Fortfall der Zuwendungen. Kritische Situationen können bei aller Bedrängnis auch schlaglichtartig Vorzüge eines Systems aufzeigen. Das in deutschsprachigen und auch in etlichen weiteren Ländern Europas gepflegte Subventionssystem erweist sich in der gegenwärtigen Krisensituation als stabilisierender Faktor. Es besteht zwar kein gesetzlicher Zwang, für die öffentlichen Theater, Opern, Konzerthäuser oder Museen Zuschüsse zu zahlen, aber es besteht doch ein Konsens insofern, dass die Aufwendungen für die Kultur keine milde Gabe darstellen, sondern eine gesellschaftliche Verpflichtung sind: als wichtiger Teil einer allgemeinen Bildung, einer Sensibilisierung der sinnlichen Wahrnehmungen, einer starken Emotionalisierung im positiven Sinne. In den schöpferischen Hervorbringungen spiegeln sich zugleich Charakter, Wesen, Temperament, Gefühlstiefe und geistige Prägnanz einer Gesellschaft, eines Volkes.
Die schönsten Worte helfen nichts, wenn die Finanzlage einer Stadt, eines Landes, zwingend Einsparungen erfordert. Verlangen muss man in einer solchen Situation aber eine umfassende Analyse des gesamten Haushalts, alle Positionen gehörten auf den Prüfstand. Es muss genau überlegt werden, ob durch die Einsparungen nicht irreparable Beschädigungen der künstlerischen Substanz hervorgerufen werden. Ein gutes Orchester ist ein in langen Jahren gewachsener Organismus, den man nicht ohne negative Folgen so einfach einmal schnell beschneiden kann. Ein lebendiges Museum, das auf Dauer keine Ankäufe mehr tätigen kann, erstarrt irgendwann zu einer verstaubten Bilderansammlung.
Die Direktoren und Intendanten unserer künstlerischen Institute sind heute keine Träumer und Sternegucker mehr. Sie wissen, was Geld ist, wo es her kommt, wie man mit ihm sorgsam umgeht. Notwendig ist, wenn sich die Situation weiter verschärfen sollte, das intensive Gespräch zwischen der „Kunst“ und der verantwortlichen Politik. Es kann durchaus sein, dass dieses Gespräch sich zu einem ständigen Dialog auswächst.
Das kostet womöglich Zeit und auch Nerven, aber diese (kleinen) Verluste wären minimal zu den künstlerischen Einbußen, die verstocktes Schweigen zwischen den Parteien hervorrufen würde. Es hülfe auch nicht weiter, wenn der jeweilige Kunstzuständige jedes Ansinnen zum Sparen mit einem „Das geht nicht“ beantwortet. Konstruktivität wird von allen Seiten verlangt. Auch die Zumutbarkeit zählt zu den Gegenständen einer Prüfung. Wenn die Mitglieder der deutschen Orchester ausgerechnet in diesem Augenblick mit Streik drohen, Vorstellungen oder Proben absagen, nur um einige Prozentpunkte auf die doch keinesfalls so kleinen Gagen zu erhalten, dann zeugt dieses Verhalten von keinem realistischen Weitblick. Auch über solche Fragen wären konstruktive Gespräche zu führen. Ein Vorschlag könnte sein, eine Tariferhöhung zwar anzudenken, deren Ausführung aber bis in die Zeit nach der allgemeinen Finanzkrise zu verschieben. Kein Orchestermusiker würde dabei des Hungers sterben, und sein Opernhaus geriete nicht noch mehr in die finanzielle Bedrouille. In der augenblicklichen Situation sind nicht unbedingt Sparkommissare gefragt, die pflegen meist nicht besonders tief nachzudenken, erwünscht sind sowohl in der Kunst wie in der Politik Managerakrobaten, die auf dem gefährlich schmalen Finanzhochseil die Balance zwischen Wünschen und Bedrängungen halten. Damit die Kunst nicht abstürzt.