Der Preis der Christoph und Stephan Kaske-Stiftung ging in diesem Jahr an die Komponistin Isabel Mundry. In ihrer Dankesrede verlor die Künstlerin einige kritische Worte zum Zustand des Kulturbetriebs, die wir für bedenkenswert halten und daher an dieser Stelle abdrucken. Mehr zur Preisverleihung lesen Sie auf Seite 2.
Der Kulturbetrieb zielt zunehmend darauf, möglichst kurzfristig markante Zeichen zu setzen, deren vorrangiger Sinn es ist, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Um diese wach zu halten, bedarf es permanenter Stimulierungen und Erneuerungen. Es bedarf der Atemlosigkeit. Solche Prinzipien assoziieren wir zunächst mit der Unterhaltungsindustrie und den digitalen Medien, doch längst walten sie sogar in einem so abgelegenen Bereich wie der zeitgenössischen Musik. Auch hier hat sich ein Trend durchgesetzt, lieber eventartig Uraufführungen aneinanderzureihen, als in die Tiefe der Rezeption eines einzelnen Werkes einzutauchen.
Dabei ist das Komponieren ein genuin langsamer und langatmiger Vorgang. Zum einen bewegen wir Komponisten uns in Medien, denen bereits eine Jahrhunderte währende Differenzierungsgeschichte eingelagert ist, wie der Notation oder der Instrumente. Wir erzeugen also nicht ausschließlich Neues, sondern rekurrieren dabei ebenso auf Altes. Zum anderen brauchen wir Zeit, um unsere Imaginationen in eine musikalische Struktur zu überführen. Die komponierte Zeit und die Zeit des Komponierens klaffen oft weit auseinander. Nicht zuletzt benötigen auch die Interpreten oft Wochen, um ein Werk von wenigen Minuten einzustudieren.
Die Christoph und Stephan Kaske-Stiftung ist nach den allzu jung verstorbenen Söhnen von Herrn und Frau Kaske benannt. Stephan Kaske ist selbst Komponist gewesen und stand noch am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn, als diese durch einen Unfall beendet wurde. Angesichts der Preisverleihung habe ich mich während der vergangenen Wochen hörender Weise mit seinem Werk beschäftigt und war beeindruckt von dessen Komplexität, Farbreichtum und Autonomie. Man ahnt, dass Stephan Kaske eine eigene musikalische Sprache hätte entwickeln können, wenn ihm die Zeit dafür gegeben gewesen wäre. Diese Möglichkeit konnte sich nicht entfalten, doch Herr und Frau Kaske haben darauf reagiert, indem sie die Ermöglichung von anderer neuer Musik fördern möchten, in Form eines Preises. Viel mehr, als an Möglichkeiten zu arbeiten, können wir Komponisten selbst nicht tun. Schließlich können wir prinzipiell nicht wissen, ob ein Werk, an dem wir gerade schreiben, gelungen sein wird oder nicht. Zudem weiß niemand, wie sich die Kriterien des Hörens fortentwickeln werden.
Der derzeitige Kulturbetrieb interessiert sich indes wenig für Möglichkeiten, sondern vor allem für die Generierung von Wirklichkeiten: rasche Erfolge, hohe Besucherzahlen, mediale Aufmerksamkeit. Mit dem Preis würdigt und fördert die Christoph und Stephan Kaske-Stiftung die Differenz des Komponierens gegenüber solchen Prinzipien. Sie würdigt unsere künstlerische Arbeit an Möglichkeiten. Dafür möchte ich ihr herzlich danken.