Die marktradikale Utopie in Sachen Musikschule sieht so aus: den Instrumentalunterricht bieten private Musikschulen an, die Schüler oder deren Eltern bezahlen das Ganze aus eigener Tasche. Musikalische Bildung wird damit zum Luxusgut. So weit ist es, mindestens in Deutschland, noch nicht. Doch geraten allerorten die städtischen Musikschulen unter Spardruck, nicht selten schicken die Kämmerer Unternehmensberatungen durch die Institute, um Einsparpotenziale aufzuspüren.
Sehr viele der rund 160 Musikschulen in Nordrhein-Westfalen seien „bis an den Rand kaputtgespart“, beklagte Volker Gerland, Vorsitzender des Landesverbandes der Musikschulen in Nordrhein-Westfalen, auf einer Diskussionsveranstaltung der Musikschule Bonn.
Im Jahr ihres 40-jährigen Bestehens hatte die Musikschule der ehemaligen Hauptstadt und heutigen Bundesstadt einer ranghoch besetzten Expertenrunde die Frage gestellt „Musikschule – Quo vadis?“ Mit auf dem Podium saßen Oliver Scheytt, lange Jahre Kulturdezernent in Essen, derzeit Geschäftsführer der „Ruhr.2010.GmbH“, Ilona Schmiel, Intendantin des Bonner Beethovenfestes, sowie Michael Dartsch, Professor für Musikpädagogik an der Musikhochschule Saarbrücken. Die Moderation übernahm Theo Geissler, Herausgeber der neuen musikzeitung.
Dass die Musikausbildung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden darf, war in der Runde unstrittig. „Eine Musikschule gilt mittlerweile als Bildungsinstitut“, unterstrich Oliver Scheytt und hoffte, dass die Politik diesen Anspruch nicht wieder aufweichen werde. Musikschulunterricht bewirke eine „Grundmusikalisierung“ und damit „emotionale Intelligenz“, so Michael Dartsch, befördere die „Identitätsbildung“, die Kreativität, Teamfähigkeit und lasse den Schüler „erfüllte Zeit“ erleben. Gleichzeitig warnte er davor, von diesen persönlichkeitsbildenden Einflüssen stets leistungssteigernde „Transfereffekte“ zu erwarten: „Oft fragen Eltern, ob ihr Kind dann bessere Noten in Mathe bekommt, wenn es ein Instrument lernt.“ Auch Scheytt warnte vor der „Ökonomisierung“ des Musikschulbetriebs und seiner Inhalte. Musikalische Bildung habe, so das Fazit, ihren Wert zunächst in sich, was ein junges Quartett für Alte Musik der Musikschule Bonn direkt vor Ort mit beachtlich ausgefeilten Darbietungen von mittelalterlichen und frühbarocken Werken unterstrich.
Wenn musikalische Bildung also kein Freizeitspaß nur für Begüterte sein soll, stellt sich die Frage nach der Chancengleichheit. Die könnten viele Musikschulen allerdings noch nicht ausreichend gewährleisten, stellte Dartsch fest. Besonders im Elementarunterricht gebe es noch viel zu tun. Nur rund 30 Prozent der Kinder würden von qualifiziertem Personal unterrichtet, Sprösslinge von Akademikern seien überproportional vertreten. Dass Lehrer fehlen, hat mehrere Gründe: feste Stellen werden häufig zugunsten von Honorarverträgen abgebaut, die für qualifizierte Absolventen unattraktiv sind. Diese Situation wiederum schreckt viele vom Studium ab. Und auch an den Musikhochschulen, so Volker Gerland, setze sich erst allmählich die Erkenntnis durch, dass es neben wettbewerbstauglicher, instrumentaler Exzellenz auch eine „pädagogische Exzellenz“ gebe.
Wie könnte die Musikschule der Zukunft aussehen? Wird sie „Motor für regionale Kulturentwicklung“, gar ein „Kulturinstitut“. Auf jeden Fall, war man sich auf dem Podium einig, sei Öffnung angesagt, für alle Musiksparten, für alle Generationen, für Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen oder Kultur wie etwa in Bonn beim Eröffnungsfest des Beethovenfestes, das auf diese Weise „in der Spitze wie in die Breite wirke“, wie Ilona Schmiel hervorhob. Sie erinnerte auch daran, dass durch Musikschularbeit nicht zuletzt das künftige Publikum für Musikveranstaltungen herangebildet werde. Sorge bereitete die Ausdehnung des Unterrichts an allgemeinbildenden Schulen in den Nachmittag hinein. Hier müsse in den Curricula Platz geschaffen werden für Musikunterricht. Gleichzeitig gelte es zu bedenken, dass Einzel- oder auch Kleingruppenunterricht nicht eins zu eins in den Schulunterricht übertragen werden könnten.
Ein flächendeckendes Experiment in Sachen Instrumentalunterricht läuft derzeit im Ruhrgebiet unter dem Motto „Jedem Kind ein Instrument“. Mehr als vierzig Musikschulen und einige hundert kooperierende Grundschulen sind daran beteiligt, rund 50 Millionen Euro bringen Bund, Land und private Sponsoren dafür auf. Möglicherweise ein Blick auf die Musikschule von morgen, auf jeden Fall ein gewinnbringendes Experiment, wenn auch mit Anlaufproblemen, befand Volker Gerland: „Wir müssen uns neuen Schülern, etwa Migrantenkindern, mit gänzlich anderem Bildungshintergrund stellen, und dafür neue Methoden entwickeln.“ Dass für diese Aktion rund 50 Millionen zur Verfügung stehen, bewies für Oliver Scheytt: „Wenn der Wille da ist, ist auch Geld da.“ Sein Blick auf die Kultur blieb optimistisch: „Kultur überlebt jede Bank, überlebt jede Finanzkrise.“