Auf dem VdM-Musikschulkongress 2011 fand Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, klare Worte zum Thema musikalische Bildung und zur Aufgabe der öffentlichen Musikschulen in der deutschen Bildungslandschaft. Die neue musikzeitung druckt seine Rede leicht gekürzt im Wortlaut.
Wir freuen uns darüber, dass dieser Kongress des Verbands deutscher Musikschulen in Mainz stattfindet, gibt er doch Gelegenheit, Ihnen allen bundesweit, aber auch bei uns hier im Land, ein herzliches Wort des Dankes zu sagen und der Anerkennung für die Arbeit, die Sie für die kulturelle und musikalische Basis leisten. Wir haben die Verantwortung, jungen Menschen eine ganzheitliche Bildung und Erziehung angedeihen zu lassen, und wir dürfen nicht Bildung und Ausbildung auf das rein Kognitive beschränken. Menschen sind mehr als eine Ansammlung von Wissen, das aus ökonomischen Gründen eingesetzt wird. Deshalb gehört die soziale und die kulturelle Dimension zur menschlichen Natur und zu unserer Gesellschaft unverzichtbar dazu. Wenn wir uns darauf besinnen, dann sind auch materielle Weichenstellungen unter einem anderen Gesichtspunkt einzuordnen als wenn wir uns nur etwas Schönes, Nettes – sozusagen nebenbei – leisten würden. Wir haben versucht, in Rheinland-Pfalz aus dieser Betrachtung heraus und im Respekt vor der Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit unserer Musikschulen ein Miteinander zu organisieren. Dass es dabei nicht nur um schöne Worte geht, mag Ihnen eine Zahl verdeutlichen: Wir haben in den vergangenen Jahren, seit der Übernahme der Regierungsverantwortung 1991, die Mittel für unsere Musikschulen von damals umgerechnet 500.000 Euro auf 2,7 Millionen Euro erhöht, und das gilt auch für den laufenden Haushalt. Und ich will noch etwas hinzufügen, auch im Beisein hochrangiger Kommunal-Repräsentantinnen und -Repräsentanten: Wir haben uns für die gerade in dieser Woche begonnene neue Legislaturperiode des rheinland-pfälzischen Parlamentes und der neu gewählten Regierung vorgenommen, einen Weg zu finden, der auf der einen Seite die kulturelle Arbeit im kommunalen Bereich in der Verantwortung, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Kommunen belässt. Gleichzeitig wollen wir aber eine Lösung finden, die auch Kommunen, die keinen ausgeglichenen Haushalt haben – und das ist ja leider in Deutschland eher die Regel denn die Ausnahme – keine Beanstandung durch die kommunale Aufsicht einbringt, wenn sie die sogenannte freiwillige Leistung der Musik- und Kulturförderung – natürlich in vernünftigen und vertretbaren Grenzen – dennoch erbringen. Ich glaube, das ist neben den Zahlen ein zweiter wichtiger Ansatzpunkt vor dem Hintergrund der Verteilung von Verantwortung in unserer Gesellschaft, aber auch vor dem Hintergrund einer subsidiären Aufgabenerfüllung. Dort, wo Verbände und Organisationen wie die Ihre zentrale Aufgaben wahrnehmen, soll diese Aufgabenerfüllung auch in ihrer Hand bleiben. Wir wollen unsererseits versuchen, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass diese Verantwortung auch wahrgenommen werden kann.
Erlauben Sie mir, die Frage der Unterrichtsverdichtung aufzunehmen, die Herr Dr. Richter hier angesprochen hat; der Unterrichtsverdichtung, bei der dennoch Zeit bleiben soll für kulturelle Bildung und musikalische Grundbildung. Ich hoffe, dass wir uns an dieser Stelle der Bildungsverdichtung wieder auf ein paar Maßstäbe besinnen. Wir haben in Rheinland-Pfalz den Run auf immer kürzere Schulzeiten, der ja fast überwältigend gewesen ist, nicht mitgemacht. Wir haben uns entschlossen, dass nur in einer Reihe von besonderen Fällen und nur eingebettet in ein Ganztags-Schulangebot, G8-Gymnasien möglich sind, dass aber die bisherige Gymnasialzeit die Regel bleibt. Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil ich größte Befürchtungen hatte und sie eher bestätigt finde, dass dort, wo man sehr breit angelegt G8-Gymnasien einführt, gerade im Bereich der Mittelstufen sehr hohe Anforderungen an die Kinder und die Jugendlichen, aber natürlich auch an die Lehrerinnen und Lehrer sowie an die Schulorganisationen gestellt werden und dass dahinter dann die zeitliche Luft und die Kraft leidet, die soziale und kulturelle Dimension in der Erziehung und auch im Leben des Menschen ausreichend auszubilden. Deshalb glaube ich, dass wir uns sehr sorgfältig fragen müssen, wie denn erfolgreiche Menschen und eine erfolgreiche Gesellschaft heute und morgen aussehen sollen. Dabei bin ich fest davon überzeugt, dass wir in einer hinsichtlich der ökonomischen, ökologischen und technologischen Voraussetzungen immer komplexeren Welt nur dann das Beherrschen durch die Menschen garantieren können, wie es Kerngehalt der Demokratie und der Freiheit ist, wenn wir den Menschen die Fähigkeit mitgeben, Dinge in der Sache zu beurteilen, aber auch, sie mit allen ihren Sinnen einzuschätzen und abzuwägen. Deshalb glaube ich fest daran, dass es nicht im Sinne eines wirklich erfolgreichen Weges ist, wenn wir nur nach der Frage verfahren, ob man früher im Beruf sein kann. Das ist auch ein Wert, ganz ohne Frage! Aber ich denke, er muss ausbalanciert sein mit diesen weit darüber hinausgehenden Fragestellungen: Wie befähigen wir junge Menschen dazu, die Bestimmenden in einer freiheitlichen Gesellschaft zu sein und sich nicht fremdbestimmen zu lassen? Und einen weiteren Punkt will ich an dieser Stelle hinzufügen: Wir werden eine Veränderung der Alterszusammensetzung unserer Gesellschaft haben. Diese Herausforderung können wir bewältigen, aber wir müssen darauf achten, dass wir unsere Kreativität nicht verlieren. Wir müssen älteren und alten Menschen die Möglichkeit geben, kreativ zu bleiben und mitzuwirken, sich einbringen zu können. Die jungen Menschen, die dann mitten im Leben stehen, müssen wir motivieren, diese Fähigkeit zur Kreativität zu vermitteln. Und Kreativität, davon bin ich fest überzeugt, lässt sich nicht nur durch ein noch so gutes kognitives Wissen und die Ansammlung von Fähigkeiten aufrechterhalten, sondern braucht die Sinne, die Empfindungen, das Loslassen-Können, und zugleich das Mitgenommen-Werden, das uns gerade auch ein kulturelles Angebot ermöglicht.
Dass dabei der Musik eine ganz besondere Bedeutung zukommt, das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in einer immer internationaleren Welt leben und dass es nun mal keine Sprache gibt außer der Musik, die uns alle verbindet. Auf diese Art und Weise unsere Verantwortung wahrzunehmen, um Zukunft zu bewältigen: das ist auch, neben der Freude am Musizieren, neben der Fähigkeit, selber etwas Kulturelles darbieten zu können und nicht nur zu konsumieren, sehr, sehr geboten für jede und jeden Einzelnen, aber auch für unsere Gesellschaft. Ich selbst habe im Keller einer Schule Klarinette gelernt, und wenn ich heute die Musik der Musikvereine und der Musikkapellen höre, bei denen ich früher mitspielen durfte, und wenn ich höre, welche Qualität in solchen Amateur-Orchestern eingekehrt ist, dann hat das auch ein ganze Menge mit der musikalischen Grundausbildung durch unsere Musikschulen zu tun.
Deshalb freue ich mich darüber, dass wir 42 Musikschulen in unserem Land haben, die sich dieser Aufgabe stellen. Lassen sie uns gemeinsam diesen Weg des Mitmachens, anderen und sich selber Freude zu bereiten, und dieses Gefühl, etwas Kreatives, Musikalisches zu leisten, den Menschen vermitteln.