Corona? Ewig her! Lehren daraus? Eher Leere – bezogen auf Bewältigungsprophylaxe! Denn die nächste Pandemie kommt bestimmt, so die Wissenschaft. Warum jetzt das Know-how der Corona-Kulturrettung für den worst case kompensieren? Fachleute sagen: Bei der nächsten Pandemie haben Behörden und Politik vieles wieder vergessen! Ist das nächste Pandemieversagen also vorprogrammiert?
Kulturpolitische Corona-Lehren?
In bilateralen Gesprächen sagen Beamte, die mit der Rechnungsprüfung von Corona-Billigkeitsleistungen betraut waren, dass staatliche Stellen bei der Pandemiebewältigung wieder ähnlich schwer aus den Startlöchern kommen würden, wie dies 2020 der Fall war. Sie analysieren logisch, dass bis dahin – falls das nicht gleich übermorgen sein wird – die personellen Wechsel in den Behörden dazu geführt haben werden, dass administratives Wissen wieder auf Null gestellt sein wird.
Auch aktuelle Unterlagen seien kaum mehr verwertbar: So soll es Behörden geben, in deren E-Akten alles nur in „auf Papier ausdruckfähiger Form“ vorgehalten wird; Behörden, in denen selbst Exceltabellen nur als aneinandergeklebte Papierausdrucke vorlägen. So hätten beispielsweise bei der Rechnungsprüfung die Berechnungsformeln für die Gestaltung von Förderanalysen und Modellberechnungen für Fördermittelwirksamkeit aus dem dokumentierten Aktenbestand nicht nachvollzogen werden können. Erst als ein Sachbearbeiter aus seinem privaten Mailpostfach noch die Original-Excel-Datei holen konnte, war der Berechnungsschlüssel auch für die Prüfenden rekonstruierbar. Im Original-Behörden-Akt durfte die xlsx-Datei aber nicht abgespeichert werden. Sollte der Kultur also vor dem nächsten neuen Virus Angst und bange sein?
Geld zum Leben – exotisches Konzept?
Geht es nach Meinung der BKM und der aktuellen Bilanz der Initiative Musik gGmbH zum Abschluss der Neustart Kultur-Förderprogramme, dann ist nicht alles, aber vieles wieder heile Welt. Weil? Ja, weil in der Tat beachtliche 219,5 Millionen Euro an 2.804 Projekte von Clubs, Veranstaltenden und Festivals ausgeschüttet werden konnten. Plus weitere 40,6 Millionen Euro an Künstler*innen. Die „Problemfälle“ würden sich „im Promillebereich“ bewegen, so die Antwort auf unsere Nachfrage. Das waren wichtige, ja überlebenswichtige Millionen, um elementare Spielflächen – die vielfach schon seit Dekaden unverzichtbare Kulturpräsentationsflächen sind – für den Nach-Corona-Spielbetrieb zu erhalten. Und es waren monatliche Minimalbeträge für die Soloselbständigen, die aber lange, viel zu lange, damit zu kämpfen hatten, dass Politik und Behörden Schwierigkeiten damit hatten, den Künstler*innen-Lebensunterhalt überhaupt als „förderfähig“ anzuerkennen.
Gefragt nach dem, was man aus Fehlern in Politik und Administration während Corona gelernt habe und warum man was genau gelernt habe, taucht das Thema Lebensunterhaltskosten für Soloselbständige weder bei der Antwort von BKM noch der Initiative Musik auf. Im Gegenteil: Die BKM definiert nur besser zu vereinheitlichende Förderbedingungen als Manko. Und die Initiative Musik? Die nennt in ihrer Antwort nichts Negatives, ergeht sich explizit in der Feststellung „dass wir sehr gut und stark Hand in Hand mit Politik, Verwaltung und Verbänden arbeiten konnten“.
Verloren zwischen Bund und Ländern
Was werden dazu jetzt all jene sagen, die falsche Auskünfte von Fördergebern erhielten. Zahlreiche im Förderwesen unwissende Soloselbständige, die elementare Summen zurückzahlen mussten. Und so weiter und so fort. Nichts Negatives also, aus dem man jetzt für die potentielle Pandemie-Zukunft lernen und Rückschlüsse ziehen oder Vorgaben als Handlungsleitfaden für Behördenvertreter erarbeiten könnte?
Die Sprecherin der BKM ist zumindest so sensibel und reflektiert, dass man aktuell damit befasst sei, „Corona-Hilfsmaßnahmen im Rahmen von Evaluierungen auszuwerten und daraus das weitere Vorgehen abzuleiten“. Allerdings stellt sich ergo die Frage für wen? Denn gleichzeitig stellt die BKM fest, dass Kultur grundsätzlich Ländersache bleibe, man im engen Austausch mit den Ländern künftige Herausforderungen aber gemeinsam meistern wolle. Hat das während Corona tatsächlich funktioniert? Oder wäre nicht auch das kritisch zu hinterfragen? Immerhin wird es auch bei zukünftigen Pandemie- und Krisenlagen um Existenzen gehen. Von Soloselbständigen und jener Spielstätteninfrastruktur, die bisher nicht ins Förderraster von Bund und Länder passte und passt.
Dabei könnten die rund 260 Millionen Euro Neustart Kultur-Mittel auch eines verdeutlichen: Es braucht nur rund eine Viertelmilliarde, um einen Großteil der bislang durch das Kulturförderraster fallenden wichtigen Basiskultur auf den Förderschirm zu bekommen – und damit sowohl Nachhaltigkeit als auch kreative Gestaltungsräume zu ermöglichen.
Eine Fördergrundlage?
Die BKM sieht zwar „insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Absicherung einzelner Akteur:innen“ strukturelle Probleme, die Corona aufgezeigt habe. Allerdings lässt der Rückschluss daraus gleich zwei Fragezeichen im Duett tanzen! Die Fördervoraussetzung der „Einhaltung von Honorarmindeststandards“ solle das „Verdienst- und Absicherungsniveau … der freien Kulturschaffenden langfristig stärken“. Ist in Berlin nicht aufgefallen, dass während der Pandemie auch bis dahin sehr gut verdienende Kulturschaffende in Existenzängste und -not gefallen waren? Manche sicherlich weniger stark wie diejenigen, die nur im Bereich des KSK-Durchschnittseinkommens aktiv sein konnten. Aber Pandemienotlage und Mindesthonorare in Bezug zu setzen, kann nur in besonders kreativen Köpfen passieren. Ganz zu schweigen davon, dass der Großteil der Soloselbständigen nicht oder nur partiell im Kontext zu Einrichtungen arbeitet, die unter Bundesförderrichtlinien fallen. Die freie Szene kann nur das vereinnahmen, was an der Abendkasse eingespielt wird. Und kein privatwirtschaftlicher Veranstaltender kann mehr an Honoraren ausbezahlen, als er oder sie durch Ticketverkauf beim Publikum erlöst. Das war bis Corona so – das ist nach Corona kaum anders!
Nicht eingeladen
Ließe sich nicht die Frage nach einer grundlegenden Überarbeitung der Fördergrundlagen herleiten? Es keimte in den Musikszenen Hoffnung auf, als die BKM am 5. Juli 2022 zu einem Runden Tisch „Weiterentwicklung der Musikförderung“ einlud. Aber zu einer Claudia Roth wurden nicht jene basisdemokratisch entstandenen Kulturnetzwerke eingeladen, die ihre sensiblen Antennen permanent in den Szenen aufgespannt haben und wie eine Pyramide auf kommunalen, landesweiten und einem Bundesnetzwerk fußen, um als Kommunikationsspitze für die Bundespolitik zu fungieren. Über die geladenen Einzelpersonen darf man sich noch heute wundern. Und nur Claudia Roth dürfte wissen, warum gerade sie mit ihrer Parteifarbe die Basisnetzwerke damals ausgeklammert hat.
Roth-Stift
Zumindest in den heutigen Antworten von BKM und Initiative Musik auf die nmz-Fragen tauchen diese Netzwerke wieder nominell auf. Sie „bestehen weiter und können im Falle zukünftiger Herausforderungen nun auch noch schneller im Sinne einer guten Kaltstartfähigkeit aktiviert werden“, so die BKM. Und die Initiative Musik: „Zukünftig können wir also von optimierten Hilfsmechanismen unter einer besseren Vernetzung innerhalb der Musikszene im Allgemeinen profitieren.“ Beides hat nur einen Haken. Diese hier gelobten Basisnetzwerke sind vielfach prekär finanziert und können sich aus Landesmitteln kaum einen funktionsfähigen Kopf leisten. Und die BKM hat es in ihrer bisherigen Amtszeit versäumt, hier fördertechnisch gangbare Lösungen zu eruieren. Ein Fakt, das angesichts sinkender Steuereinnahmen fast überbordend frustriert in eine Zukunft der Kulturrotstiftpolitik blicken lässt.
Erfahrungen (noch) verfügbar
Denn etliche dieser Netzwerke laufen auf absehbare Zeit Gefahr, wieder zu degenerieren oder ganz zu verschwinden – und stünden damit auch bei der nächsten Pandemie nicht mehr als Helfer aus der Praxis zur Verfügung. Einigen ist die Frage zu heiß, immerhin geht es um die Hand, die sie mit füttert. Andere werden ignoriert: Axel Ballreich von der LIVEKOMM wundert sich, dass sein Verband bei der Neustart-Bilanzpressemeldung der Initiative Musik nicht mit Zitat eingebunden war: „Ich fand es auch seltsam, dass wir nach jahrelanger guter Zusammenarbeit nicht um eine Stellungnahme gebeten wurden.“ Immerhin habe die LIVEKOMM bei der Programmentwicklung federführend gewirkt und maßgebliches Know-how sowie Szene-Beratungsfachleute in die Betreuung der Projekte mit eingebracht. Glück also, dass gerade keine Corona-Pandemie herrscht?!
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