„Under pressure“ war das Motto, zu dem die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen ins Forum des Paul-Löbe-Hauses des Deutschen Bundestages eingeladen hatte. Speziell die Kunst sei unter Druck, ihre Freiheit gefährdet, in erster Linie von (ganz) Rechts, aber auch durch Rechtspopulisten. Wie sich die Grünen die Freiheit der Kunst vorstellen, wurde an dem Abend allerdings nicht klar. Der Grund ist simpel: Es ist ihnen nicht gelungen, die Phänomene „Kunst“ und „Kultur“ zu trennen. Durch deren begriffliche Vermischung tun sich jedoch Probleme auf. Der Bericht von Martin Hufner.
Man präzisierte das Thema des Abends folgendermaßen: „Kunst ist frei. Aber diese Freiheit ist unter Druck. Unter Druck ist sie da, wo Autokraten & Rechtspopulisten regieren.“ Es fällt schwer, dieser Logik zu widersprechen. Um diese These zu konkretisieren hatte sich der kulturpolitische Sprecher, Erhard Grundl drei Gäste zur Diskussion in den „Talk“ eingeladen: Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel Hamburg), Igor Levit (Pianist) und Sookee (Rapperin). Dass man aber zwischen Kunst und Kultur nicht zu trennen wusste, machte eine Nachfrage des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, deutlich. Doch der Reihe nach.
Grenzen der Kunstfreiheit
In ihrer Begrüßung und politischen Keynote betonte die Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Kathrin Göring-Eckhardt, die Bedeutung der Freiheit der Kunst, wie sie ja auch in Artikel 5 des Grundgesetzes festgelegt sei. Gleichwohl war es ihr wichtig zu sagen, dass die Freiheit „Grenzen“ kenne, worüber man streiten müsse. Diese Grenze der Freiheit finde Kunst in den Rechten von Minderheiten – dabei verwies sie auf die Auseinandersetzung über das Gomringer-Gedicht, das die Fassade einer Hochschule in Berlin zierte und das nach hochschulinternen Auseinandersetzungen schließlich übermalt wurde (wir kommentierten). Kunstfreiheit werde gerne als Deckmantel benutzt, wo dann aber die Freiheit der anderen gefährdet sei. Diese Diskussion falle schwer, so Göring-Eckhardt.
Angriffe auf die Kultur von Rechts
Leichter sei es bei der Auseinandersetzung mit Autokraten und Rechtspopulisten, den sie als Kulturkampf von Rechts bezeichnet und den sie als Angriff auf eine offene Gesellschaft begreife. Ins Visier nimmt sie dabei die AfD, deren Programm deren kulturpolitischer Sprecher Marc Jongen schon sehr früh nach seiner Wahl in den Bundestag als Entsiffen des Kulturbetriebs bezeichnete. In Ländern und Kommunen zeige sich das in einer Flut von Anfragen und Anträgen gegen kulturelle Institutionen wie Theater, Medien etc. Dadurch werde ein andauernder Druck auf Kunst und Kultur ausgeübt.
Daran anschließen konnte die Diskussionsrunde, die Erhard Grundl leitete, der im Wesentlichen die Thesen seiner Fraktionsvorsitzenden wiederholte. Interessanterweise vor allem, wenn er auf die „Grenzen der Kunstfreiheit“ hinwies, ohne sie erneut zu bestimmen. Hier fehlte ein selbstkritischer Blick auf die historischen Einhegungswünsche von Kunst; die Frage, wie sich Grenzen der Kunst mit ihrer verfassungsrechtlich garantierten Freiheit ausbalancieren lassen, blieb einstweilen offen.
Konkrete Auswirkungen
Amelie Deuflhard konkretisierte die Angriffe von Rechts, die auch ihre Institution anlässlich eines Flüchlingsprojektes auf Kampnagel abzuwehren hatte. Die Vorwürfe der Gegner reichten von Veruntreuung von Geldern bis hin zum Vorwurf, man arbeite als Schleuserin. Die Staatsanwaltschaft benötigte immerhin über anderthalb Jahre bis sie die Ermittlungen eingestellt hatte. Die Rapperin Sookee verwies auf die szenetypischen Probleme mit Sexismus und Rassismus in ihrem musikalischen Feld, die sich durch das ganze System der Musikwirtschaft und -industrie ziehe. Die Rapperin setze auf Wirkung vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die sie besser erreiche als die Erwachsenen. Wenn die über Stöckchen springen, dann nicht über die von Rechtspopulisten. Igor Levit schließlich fand starke Worte für das Problem des Drucks von Rechts. Bei den aktuellen Auseinandersetzungen mit den politisch Rechten handele es sich längst nicht mehr nur um einen Kulturkampf, sondern um einen Kulturkrieg. Und damit um die Frage „kultureller Identität“. Die Festlegung kultureller Identität funktioniere bei den Rechten ausgezeichnet. Sie können ein geschlossenes Weltbild entwerfen, das auf präzisen Grenzen beruhe. Dem gegenüber stehe eine kulturelle Vielfalt, die als identitätsbildend wesentlich schwieriger zu realisieren sei. Dagegen müsse man „positive Narrative“ setzen, so Levit.
Schlaglichter auf das Thema warfen Cesy Leonard, Chefin des Planungsstabs des Zentrums für Politische Schönheit, Filmemacherin und Künstlerin sowie Maximilian Steinbeis, Gründer und Herausgeber des Verfassungsblogs und Autor.
Aus dem Publikum kamen noch Anmerkungen und Fragen zur allgemeinen Kulturpolitik der Grünen. So fragte der Songtexter Tobias Reitz speziell nach der Bedeutung von Urheberechten im digitalen Zeitalter (bekanntlich sprechen sich eine überwiegende Zahl grüner Abgeordneter im Bundestag und im Europaparlament gegen den Richtlinienentwurf zum Urheberrecht im digitalen Zeitalter aus). Andere Fragen betrafen den Emissionsschutz, gerade auch bei musikalischen Veranstaltungen – ein ernsthaftes Problem, dass auch zur Behinderung kultureller Tätigkeit führen könne, gerade auch in den falschen Händen.
Welche Grenzen der Kunstfreiheit ziehen die Grünen?
Schließlich forderte Olaf Zimmermann als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates die Grünen auf, doch präzise zu benennen, wo sie die Grenzen der Kunstfreiheit ziehen wollten und wie sie diese begründen. Diese Frage empfand in ihrer Antwort Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters Berlin als deplatziert, man solle sich darin doch nicht aufhalten, es gäbe genug Beispiele grenzüberschreitender Kunstproduktionen, wichtig sei vor allem der Kampf gegen Rechts – das alles in einem Tonfall und mit Gesten vorgetragen, die man nur noch mit Wohlwollen als „engagiert“ bezeichnen kann. Erhard Grundl antworte ebenfalls: Mit Bezug auf die Übermalung des Gomringer-Gedichtes sagte er, dass er sich, wenn die Jugend etwas stürzen wolle, sich deren Position „anschließe“ (wobei der zustimmende Applaus allerdings mager blieb).
So einig man sich in Sachen „Widerstand gegen Rechts“ sei, so unentschlossen zeigte man sich seitens der Grünen bei der Frage nach der Freiheit von Kunst selbst. Da blieben die Aussagen eher hohl und nicht minder anmaßend wie zugleich überheblich: „Ich stehe auf der Seite derjenigen, die sich nicht artikulieren können.“ (Kathrin Göring-Eckhardt)
Kunst und Verletztheit
Es scheint geradewegs eher so, dass beim Kulturkampf von „Links“ (in der Ecke sieht sich Grundl) die Kunst damit auch unter deren Druck gerate. Das scheint den Beteiligten aber gar nicht so klar zu sein. Der Kampf gegen Rechts allein ist zu wenig, wenn zugleich die freie Kunst in kulturelle Fesseln gelegt wird. Das ist übrigens auch das Problem mit der Konstruktion gesellschaftlich-kultureller Identität. Die kann von beiden Seiten zu Einschränkungen führen, die man als offene Gesellschaft eigentlich nicht haben möchte. Da wirken die Vorwürfe von Shermin Langhoff als modische Spielbälle moralischer Setzungen, die jeder für sich finden kann. Jede Kunst kann unter diesen Voraussetzungen plötzlich bedrohlich werden, jeder und jede kann sich als angegriffene und/oder verletzte Minderheit fühlen. Das Argument ist nämlich ein bloß formales und kann von Rechts wie von Links beansprucht werden. Im Ergebnis wäre zu fragen: Darf allein die Kunst noch sein, die niemanden verletzt kann (subjektiv wie objektiv)? Wäre eine kulturelle Identität, die dies bediente, nicht eine, die unter einer ein künstlerisch-pathologischen Identitätsstörung leiden würde? Und somit selbst als Widerstandsleistung gegen autokratische und rechtspopulistische Haltungen schließlich unbrauchbar wäre?
Hier scheint die Position der Grünen nicht von intellektueller Durchdringung getrieben, sondern vom Getuschel auf der Straße (siehe Grundls windelweiche Gomringer-Position). Auch das ist letztlich Populismus.
Identität und Populismus
Die Probleme mit der Freiheit der Kunst sind komplex. Hanno Rauterberg hat im letzten Jahr in einem lesenswerten kleinen Bändchen mit dem Titel „Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus“ (Suhrkamp 2018) einige dieser Problemstellen aufgegriffen (übrigens auch die Auseinandersetzung um das Gomringer-Gedicht an der Hauswand). Bei Vorwürfen gegen Kunstwerke stellt er lapidar fest: „Der Kunstfreiheit wie der Freiheit des Gedankenaustausches drohen eine empfindliche Beschränkung, sobald Zeichen, Stile, persönliche Eigenheiten wie exklusive ideelle Besitztümer behandelt und beschützt werden sollen“ (S. 37 f.). Gerade hier zeigt sich die Janusköpfigkeit von Identitätsbildung, die fast immer zu Ausschlussprozessen führen muss. Für Ausschlussprozesse mag es im politischen Rahmen gute Gründe gesellschaftlicher Selbstverteidigung geben. Im Bereich der Kunst wirken derartige moralisch-politisch getriebene Ansätze verheerend. Dieses Muster von den Rechten zu übernehmen, wäre geradezu absurd und fatal.
Entschieden unentschieden
Kathrin Göring-Eckhardt Mutmaßung, dass es schwerfalle, Grenzen der Kunst zu bestimmen, ist sicher nicht falsch, aber es wirkt verharmlosend und ausweichend, wo es doch schließlich um eine Säule unseres Grundgesetzes und Rechtskultur geht, die durch ihre Position als Artikel 5, Absatz 3 ziemlich prominent platziert ist. „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, heißt es dort in einfachen Worten. Die Worte des Grundgesetzes darf man nicht nur als „Schutzgarantie“ der Kunst verstehen, sondern auch als Aufforderung. Denn bei genauer Beobachtung wird man immer wieder feststellen, dass die Kunst, die den Rechten so vorschwebt, keine „freie Kunst“ ist, sondern eine bestimmte, angeführte, ja verführende und zu autoritären politischen Zwecken missbrauchte. Das trifft natürlich auch auf sexistisch oder rassistische motivierte Kunst gleichermaßen zu. Solche Kunst, die sich zwar auf die Kunstfreiheit berufen mag, ist jedoch im Kern eine unfreie Kunst. Das zu erkennen, dazu bedarf es selten einer Kunstkritik, sie schadet aber auch nicht; sobald die Einordung jedoch in die Sphäre des Rechts und der Realpolitik gerät, droht freier Kunst das Verhängnis der Unterdrückung, der Rechtfertigung, der schleichenden Vor- und Selbstzensur.
In diesen Punkten blieben die Grünen an diesem Abend unpräzise. Man kann befürchten aus Prinzip. Ebenso wie ja in Sachen Urheberrechtsreform in der EU. Die so genannte „Ansprechbar“ (von denen gab es 12, inklusive der großen im Forum des Paul-Löbe-Hauses des Deutschen Bundestags) zu dem Thema war gut besucht. Vor allem standen sich aber Grüne selbst gegenüber. Helga Trüpel (MdEP) pro Richtlinie gegen Tabea Rößner (MdB), die sich dagegen aussprach. Der Diskussion war letztlich nicht von außen zu folgen, dafür waren die akustischen Bedingungen einfach nicht gegeben.
PS: Die Teilnahme unseres Berichterstatters am parlamentarischen Abend von Bündnis 90 / Die Grünen war freiwillig. Von anderen Fraktionen gab es keine Einladungen zur Teilnahme an eventuell ähnlichen Veranstaltungen, weswegen es auch keine Berichte zu anderen Parteiveranstaltungen gibt.