Manchmal sind es überraschende Einzelschicksale, allenfalls noch im Verbund mit nahestehenden Menschen, die das Weltgeschehen verändern. Zum Beweis schildere ich in gebotener Kürze eine entsprechende Situation: Soeben sitze ich mit meinem alten Schulkameraden Ischinger (genannt Isch, der Fisch – ich hab ihn nie wirklich gemocht) ganz oben im linken Zwiebelturm der Münchener Liebfrauenkirche. Wir hatten ein Interview für RTL 2 in der Mache. Dank seiner Ortskenntnis und seines überlegenen Kommunikationssystems konnten wir uns gerade noch vor der Trump-Flut retten. Jetzt hocken wir vor einem Glasziegel, gucken auf den langsam sinkenden Wasserspiegel, der gerade den unteren Rand der Turmuhr freigibt. Sie möchten wissen, wie das kam? Bitte! [Vorabdruck aus Politik & Kultur 2019/03]
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Donald Trump aufgrund von Mauerbau, Ächtung jeglicher Klimaabkommen und Erklärung des staatlichen Notstandes zum Schutz der amerikanischen Bauindustrie Tochter Ivanka an seiner statt zur Münchener Sicherheitskonferenz in das Luxushotel „Bayerischer Hof“ entsandte. Da ist es eigentlich kein Wunder, dass Ivanka an dieser wichtigtuerischen Versammlung faltig-bleicher alter Männer und der einen oder anderen ebenbürtigen Grandma sich ganz elend mopste, zumal sich unter ihren zehn Securityboys aus gutem Grund nur von Muttern handverlesene Hundert-Prozent-Gays befanden.
Nach einer recht erfolglosen Shoppingtour – Münchens Modehäuser hatten im Superior-Segment noch auf Burkas, Kopftücher sowie Dirndl und Lederhosen in bekannt zwergenhaften Chinesenmaßen umgestellt – begab sich Ivanka reichlich frustriert in den luxuriös-üppigen Spa-Bereich des Bayerischen Hofes. Zu Beginn eine zarte Peitschenmassage mit frisch gerupften Steinadlerfedern, gefolgt von einem Bad in Murmeltier-Steinbock-Milchmix und abgerundet durch das klassische Trockenreiben mit noch leicht blutigem Babyrobbenfell – ein akzeptabler Start in die Wellness.
Als Krönung sollte jetzt noch die Ganzkörpersanftbräunung in der exquisiten UV-Tonne des Bayerischen Hofes folgen. Ein ursprünglich israelisches Modell mit Kräuterpökelsalz aus dem Roten Meer. Über das, was nun geschah, gibt es die wildesten Vermutungen. Der Mossad hätte – den Verdacht auf islamische Attentäter lenkend – die Strahlungsintensität vertausendfacht. Eine Putzfrau hätte aus Versehen eine Flasche Rohrreiniger in der Tonne vergessen. Die Demokratin Pelosi hätte den Bräuner unmittelbar vorher ungewaschen genutzt.
All diesen Gerüchten widerschrieb Ivanka energisch – aufgrund multipler Verrunzelungen und Verbrennungen zweiten Grades an für sie bedeutenden Körperteilen war sie unter anderem auch noch sprachunfähig. Vielmehr sei sie – um konkrete Lösungsmöglichkeiten für die umfassenden weltpolitischen Konflikte mit freiem Kopf wohlformuliert vorzutragen – kurz durch den kleinen Lustgarten des Hotels spaziert. Die Securitys hatten sich mit ihrer Erlaubnis gerade im „Jazzkeller“ genannten Darkroom des Hauses erholt. Da sei sozusagen der Himmel aufgerissen, durch klimatische Verzerrungen – Einheimische hätten dem an den Alpen gelegentlich auftretenden grausamen Phänomen den bezeichnenden Namen „Föhn“ gegeben –, es wäre stellenweise das den Globus schützende Magnetfeld zerfallen – und sie sei von einem Energiestrahl höchst zerstörerischer Kraft gottlob nur gestreift worden. Eines sei allerdings glasklar – nachdem russische, iranische, deutsche oder nordkoreanische Übergriffe wissenschaftlich zu 100 Prozent ausgeschlossen werden konnten: Es hätte sich um ein menschengemachtes, nahezu tödliches Phänomen der Erderwärmung gehandelt. Nun sei es ein Leichtes, auch ihren Vater von der Realität dieser Bedrohung zu überzeugen. Blut sei eben dicker als theoretisches Geschwafel.
Und in der Tat: Donald Trump zwang Twitter – noch immer herrschte ja nationaler Notstand und somit jede Menge Vollmachten für den Präsidenten – jegliche Buchstabenzahlbeschränkung für seine Verlautbarungen aufzuheben. Augenblicklich veröffentlichte er komplexe Verdikte: Alle Motoren, egal ob Diesel, Benzin und aus Paritätsgründen auch elektrische, seien in den USA und den Nato-Staaten binnen einer Stunde zu stoppen. Nämliches gelte für Flüge bis auf die Lang- und Mittelstreckenraketen zur Verteidigung der USA. Er selbst habe natürlich schon immer von der Gefahr gewusst, aber geschwiegen, um keine weltweite Panik auszulösen. Allerdings hätte er bei Perry Rhodan gelesen: Wenn die Gefahr am größten ist, sei die Rettung am nächsten. Deshalb habe er seinen Trump-Tower seit Jahren in ein Spaceship umbauen lassen, um mit seiner Familie, seinen Anwälten und einigen Generälen die partielle Rettung der Erde direkt aus dem Weltall beobachten zu können.
Als erste Maßnahme habe er dafür gesorgt, dass die glücklicherweise kaum besiedelten Pole und die russischen Permafrostgebiete dank Wasserstoffbomben-Explosionen schmelzen. Das würde für ausreichend Kühlung sorgen. Er sei bereits in der Kommandozentrale seiner „Donald One“ und würde in zehn Sekunden starten: „America First. God bless you“.
Tja, irgendwas scheint beim Start des Spaceships schiefgegangen zu sein. Es rammte noch die Freiheitsstatue und schoss dann in den Riesen-Tsunami, dessen Wucht sich bis hin zu Münchner Sicherheitskonferenz ergoss – und dessen langsamen Rückzug wir gerade beobachten, der Ischi-Fischi und ich. Hoffentlich gibt es hier noch genug arme Kirchenmäuse, damit wir wenigstens ein bisschen was zu essen haben …
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur