Man wird nicht jünger, nicht stärker. Eigentlich redet ein harter Schnüffel-Knochen wie ich nicht über persönliche Schwächen. Das ist bekanntlich geschäftsschädigend. Bedauerlicherweise blieb allerdings mein Zusammenbruch beim Besuch der diesjährigen CeBIT in Hannover dank der allgegenwärtigen Videoüberwachung ohnedies nicht geheim. Auf der Facebook-Seite „Messe-intim“ finden sich schamlose Bilder. Deshalb zunächst Hintergründiges zur Klärung: … [vorab aus Politik & Kultur 3/2017]
Schon bei der Eröffnung pries Japans Premierminister Shinzo Abe als Repräsentant des Partnerlandes den Weg der überalternden Nippon-Gesellschaft in die „Society 5.0“ – also die fünfte Stufe der Menschheitsgeschichte. Nach dem Jäger- und Sammler-, Agrar-, Industrie- und Informationszeitalter komme nun das Zeitalter der Vernetzung, heißt es in einer klärenden Anzeige der Financial Times, finanziert durch die Fukushima Ltd. „In dieser ultrasmarten Gesellschaft wird Japan weiter die Netzwerk- und Internet-der-Dinge-Kapazitäten von fortgeschrittenen Innovationen in der Herstellung bis in jeden Winkel der Gesellschaft ausbauen und dramatisch die Lebensqualität verbessern und das Wirtschaftswachstum ankurbeln.“ Sensoren, Roboter, Big Data und Cloud Computing würden in die Gesellschaft „integriert“, um Menschen zu helfen, „unüberwindbare“ Probleme zu lösen.
Das gefiel unserer Physiker-Kanzlerin, selbst noch ein wenig von der Schwellenangst vor dem Einzug in die „Gesellschaft 4.0“ – das Informationszeitalter also – gehemmt, so gut, dass sich ihre Mundwinkel fast bis an die Augenbrauen lifteten. Und ihre launige von technokratischem Optimismus voll gesättigte Antwort ließ keinen Zweifel, dass auch unser deutsches Entwicklungsland alles in Bewegung setzen würde, um dem Partner Japan nachzueifern.
Demnächst ersetzen putzige intelligente, mit weicher Schmeichelhaut überzogene Roboter die Pflegekräfte für unsere Siechen und Greise. Zur Kommunikation genügt den „Digital-Samaritos“ (eingetragenes Warenzeichen) ein kostengünstiger Mini-Speicherchip: 50 tröstende Standardsätze und acht Volkslieder, darunter „Hoch auf dem gelben Wagen“ und „Näher mein Gott zu Dir“, schaffen humane Wärme und Nähe. Schließlich sind in Pflege- und Seniorenheimen schon heute Tausende Roboter im Einsatz: Semiintelligente Geh- und Aufsteh-Assistenten, zärtlich murmelnde Kuschelrobben und Power-Handschuhe wie aus der James-Bond-Werkstatt, die gebrechliche Senioren und behinderte Menschen schier zu Kraftsportlern machen.
Auf meinem Weg über die Messe geriet ich im Toyota-Showroom für Demenz-Assistenten dann leider in die Fänge einer höchst attraktiven, kräftigen Hostess, die ich erst auf den vierten Blick als Cyborg durchschaute. Um mich zu vergewissern, das war mein Fehler, kniff ich sie – na sagen wir mal – in die Hüfte. Ehe ich mich versah, lag ich dank eines judotypischen Sichelscherenschlages auf der Nase. Aus plötzlich sich öffnenden Schlitzen in den Unterarmen der „Demenz-Assistentin“ entrollten sich stramme Bandagen, die mich in einen derart engen Kokon wickelten, dass ich kaum noch Luft bekam, geschweige denn mich bewegen konnte. Da diese Pflegekraft offensichtlich noch kein deutsches Sprachmodul implantiert hatte, kratzte ich mein dürftiges Japanisch zusammen und röchelte fortwährend „Sayonara“, „Sushi“ und „Hiroshima“. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Als ich aufwachte, lag ich auf einer harten Pritsche am Ende eines düsteren Ganges gemeinsam mit zehn weiteren teils lautstark protestierenden Leidensgenossen. Wie ich nach einigen Stunden erfuhr, in der psychiatrischen Notaufnahme des Klinikums Wunstorf. Gut gewickelt konnte ich mich noch immer nicht bewegen. Irgendwann tauchte eine – so scheint es – menschliche Krankenschwester auf, fragte, wie es „uns“ denn ginge. Ich sagte: „Prima“, woraufhin sie mir in die Pupillen funzelte und mich schließlich losband. Freundlich lächelnd reichte sie mir mein Portemonnaie und gesondert die Chipkarte meiner Krankenkasse. „Alles registriert, wird alles bezahlt, Sie können gehen“, waren ihre letzten Worte, bevor sie einem dauerrandalierenden Patienten neben mir eine furchterregende Spritze in den Bauch jagte.
Leicht beduselt – ich war wohl eine Woche „ruhiggestellt“ und künstlich ernährt worden – schlich ich mich grob kratzenden Halses aus der Klinik. Natürlich war mein Auto mittlerweile vom Messeparkplatz abgeschleppt und zu einer Art Schrottplatz nach Langenhagen verfrachtet worden. 100 Euro Taxi – ausgerechnet ein Toyota. Zuhause angekommen öffnete ich bei einer Tasse heißer Milch mit viel Honig (der Ernährungsschlauch war wohl etwas kratzig) meine Post-Flut, darunter ein Schreiben meiner Krankenkasse, die in ihrer Firmierung, wie ich bald feststellen durfte, nicht umsonst das Adjektiv „kaufmännische“ benutzt. Es handelte sich um eine Rechnung über gut 8.000 Euro für „Astronauten-Sondernahrung“, Krankentransport und Chefarztbetreuung erster Klasse in der Psychiatrie Wunstorf. All dies seien Sonderleistungen, die durch meinen normalen Versicherungsschutz leider nicht abgedeckt, medizinisch aber unverzichtbar gewesen seien. Dem Schreiben lag auch noch die Aufforderung bei, mich angesichts der bevorstehenden Sozialwahlen für die „Kaufmännische“, die mit den super Serviceleistungen, zu entscheiden.
Während die Wut in mir hochkochte, öffnete ich rein mechanisch noch ein Schreiben von Toyota-Robotics. Ebenfalls eine Rechnung für Schmerzensgeld, diesmal über 12.000 Euro. Unter Androhung einer Klage wegen sexueller Belästigung einer nahezu humanoiden Pflegeassistentin im Rahmen der CeBIT. Spontan beschloss ich, ins Zeitalter der Jäger und Sammler zurückzukehren…
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur